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Gedankenpolizei

Dr. Wolfgang Klein


     Gedankenpolizei

Dr. Thilo Sarrazin hat nicht nur eine Debatte über die offensichtlich verfehlte Integrationspolitik ausgelöst sondern auch eine ebenso gewichtige um den Stand der in der Bundesrepublik Deutschland eigentlich verfassungsmäßig garantierten Meinungsfreiheit. Hierzu hat die FAZ am 18.09.2010 unter der Überschrift “Der Wächterrat” die nachfolgenede Zuschrift ihres Lesers Rainer Weniger  aus Düren- Derichsweiler veröffentlicht:

“Zu “Die roten Linien" (F.A.Z. vom 10. September): Der Wächterrat überprüft Meinungen von Bürgern auf ihre Übereinstimmung mit den Prinzipien der Political Correctness. Um Mitglied des Wächterrates zu sein, muss man folglich das PC-Gen besitzen, einigermaßen bekannt und redegewandt sein. Die Mitglieder des Wächterrates sind unfehlbar. Sie wissen, was in Deutschland moralisch und unmoralisch, was wahr und unwahr, was gut und böse, was richtig und falsch ist. Sie rekrutieren sich aus allen Parteien, sind Repräsentanten außerparlamentarischer Funktionsgruppen sowie auch solche, die fallweise ins gleiche Horn blasen, weil sie Angst haben, dass, wenn sie es nicht tun, sie selbst vom Wächterrat zusammengestaucht werden. Ferner rekrutieren sich Mitglieder aus Kreisen schreibender Journalisten und Fernsehjournalisten, die zugleich auch eine Katalysatorfunktion erfüllen sowie Fernsehtribunale organisieren.

Der Wächterrat hat die Lizenz, den Daumen zu senken, sei es bei kleineren “Verfehlungen" (zum Beispiel Katrin Müller-Hohenstein: “Innerer Reichsparteitag") oder bei größeren (Thilo Sarrazin: “Deutschland schafft sich ab"). Er bildet sich eine Meinung, noch bevor alle Fakten auf dem Tisch liegen, und fällt volksgerichtshofartig schon Willkürurteile, noch bevor die Fakten nach bestem Wissen und Gewissen sorgsam ausgewertet/ bewertet sind. Das Urteil wird gefällt (schuldig!), die Sanktionen werden benannt (Ausschluss aus der SPD, Abberufung aus dem Vorstand der Bundesbank). Aufgabe nachgeordneter Stellen ist, hierzu die passenden Begründungen im Detail zu suchen, zu konstruieren und zu Papier zu bringen. Jetzt wird fieberhaft danach gesucht, was im Buch alles nicht richtig ist. Wird die gleiche Energie aufgebracht, danach zu suchen, was alles richtig ist?

Der Vorwurf des Wächterrats ist unter anderem, dass Sarrazin Deutschland im Ausland Schaden zugefügt habe. Niemand sagt, welcher konkrete Schaden denn nun eingetreten ist. Werden deutsche Botschafter einbestellt, werden Rügen erteilt? Werden gar diplomatische Beziehungen eingefroren oder wirtschaftspolitische Sanktionen angedroht? Wird Deutschland - wie einst Österreich - nun geschnitten? Worin besteht also der konkrete Schaden, der behauptet wird? Welchen konkreten Schaden hat die Schweiz nach der Volksabstimmung über das Minarettverbot erlitten? Die Schweizer Bundespräsidentin äußerte, dass befürchtete Irritationen ausgeblieben seien.

Der Wächterrat ist - themenunabhängig - so von seinen Einschätzungen überzeugt, dass er gar nicht wahrnimmt, dass es auch andere Meinungen gibt. Hier hat sich in der Tat eine Parallelgesellschaft entwickelt, die immer weiter von dem abdriftet, was die ganz normalen Bürger denken, fühlen, befürchten. Der Wächterrat spricht eine andere Sprache als diejenigen, die er zu vertreten vorgibt.

Der Wächterrat leugnete bis zuletzt massive Integrationsprobleme (“Es kann nicht sein, was nicht sein darf"). Offenbar hängt das auch damit zusammen, dass die Mitglieder des Wächterrats die Folgen der Probleme nicht am eigenen Leib erfahren müssen. Liegt deren privater Wohnsitz in den Problemwohnvierteln? Schicken sie ihre Kinder, sofern sie überhaupt welche haben, auf Schulen mit Migrationsproblemen? Hautnah mit den Problemen fertig werden müssen dafür andere: Erzieherinnen, Lehrer, Polizisten, Staatsanwälte, Richter, Gefängnispersonal, Sozialamtsmitarbeiter und so weiter. Der Wächterrat selbst lebt wohlbehütet in anderen Sphären.

Erstaunlich ist dennoch, wie im aktuellen Fall die Political Correctness erste Risse bekommt. Plötzlich ist es möglich, dass ein Innenminister, ohne vom Wächterrat unverzüglich abgestraft zu werden, sagen darf, dass zehn bis fünfzehn Prozent aller Migranten integrationsunwillig seien. Sogar das Wort “Sanktionen" darf er in den Mund nehmen. Aber wie so oft, wenn sich der Rauch verzogen hat und Gras über die Sache gewachsen ist, werden wieder alte Verhaltensmuster aufbrechen. Der Wächterrat wird wieder seine Stimme erheben.”

Soweit Leser Rainer Weniger. Ich habe mir erlaubt, seinen Beitrag um den nachfolgenden Leserbrief  zu ergänzen, den die FAZ am 02. 10.2010 mit dem Titel “Orwell ist bei uns Realität geworden” veröffentlicht hat:

“Die Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland, soweit sie die Meinungsfreiheit betrifft, beschreibt Leser Rainer Weniger (Leserbrief in der FAZ vom 18.09.2010) mittels Einführung des aus der iranischen Staatsform entlehnten Begriffs "Wächterrat" auf das trefflichste. Sein brillantes Traktat hat mich veranlaßt, George Orwells "1984" aus dem Bücherregal zu nehmen. Ich hatte mich richtig erinnert: Schon auf der zweiten Seite des ersten Kapitels stößt man auf die Gedankenpolizei (Ozeaniens), und auf Seite 15 des ersten Kapitels wird der Begriff des Gedankenverbrechens einschließlich seiner Folgen erläutert. 60 Jahre nach Erscheinen seines Buchs muß man mit Schrecken feststellen, daß Teile der düsteren Zukunftsvision Orwells in unserem Lande Realität geworden sind. Ich hätte das beim erstmaligen Lesen im Jahre 1957 nicht für möglich gehalten.

Dr. Wolfgang Klein, Berlin

 

 

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