Dr. Wolfgang Klein |
6.4 Reparationen/Wiedergutmachungsleistungen In Teil VIII Abschnitt I Artikel 231 des Versailler Vertrags anerkennt Deutschland, für alle den Siegermächten entstandenen Kriegsschäden verantwortlich zu sein und in Artikel 232 verpflichtet sich Deutschland, die von den Alliierten benannten Schäden wieder gut zu machen Artikel 245 in Teil VIII, Abschnitt I des Versailler Vertrages regelt, welche von Deutschland erbrachten Leistungen (Auslieferung von Sachwerten, Lieferverpflichtungen; s. oben) in welcher Höhe auf die Gesamtwiedergutmachungsverpflich-tungen Deutschlands angerechnet werden können. Die Einzelheiten der Anrechenbarkeit, über nahezu alle Teile und Abschnitte des Vertrags verstreut, sind deshalb einer zusammenfassenden Darstellung kaum zugänglich. Bei Fragen nach Einzelheiten, insbesondere danach, ob eine Leistung auf die Gesamtreparationsschuld anrechenbar ist oder nicht, wird empfohlen, in www.versailler-vertrag.de/vv-i.htm zunächst den Artikel 245 und dann mit Hilfe des Inhaltsverzeichnisses am linken Seitenrand die gewünschte Fundstelle aufzusuchen. Der als Wiedergutmachung von Deutschland geschuldete Gesamtbetrag sollte von einer interalliierten Kommission festgestellt werden, die die Bezeichnung Wiedergutmachungs-kommission (auch Wiedergutmachungs-ausschuß genannt) trägt. Die Beschlüsse dieser Kommission über die Höhe der von den Alliierten und Assoziierten Mächten benannten und geltend gemachten Schäden sollten bis zum 1. Mai 1921 aufgesetzt und der deutschen Regierung als Gesamtbetrag ihrer Verpflichtungen mitgeteilt werden. Die Kommission stellt gleichzeitig einen Tilgungsplan auf; sie wird dabei die Fristen und die Art und Weise für die Ablösung der Gesamtschuld durch Deutschland innerhalb eines Zeitraumes von dreißig Jahren vorsehen, der mit dem 1. Mai 1921 beginnt. Falls jedoch Deutschland im Laufe des erwähnten Zeitraumes mit der Begleichung seiner Schuld im Rückstand bleiben sollte, kann der Ausgleich der ganzen ungezahlt gebliebenen Restschuld nach der Entscheidung der Kommission auf die folgenden Jahre übertragen oder in anderer Weise behandelt werden, unter Bedingungen, welche die alliierten und assoziierten Regierungen gemäß dem in diesem Teile des Vertrages vorgesehenen Verfahren bestimmen werden (Artikel 233). Deutschland willigt ein, daß seine wirtschaftlichen Hilfsmittel unmittelbar und nach näherer Bestimmung der Anlagen III, IV, V und VI in den Dienst der Wiedergutmachungen gestellt worden, (Artikel 236). Deutschland willigt ferner ein, die Besoldung und Kosten der Kommission und des Personals, das sie beschäftigen wird, zu bestreiten (Artikel 240). Die alliierten und assoziierten Regierungen verlangen und Deutschland verpflichtet sich, seine wirtschaftlichen Hilfsmittel zur Erfüllung seiner Verpflichtungen unmittelbar zum Wiederaufbau der vom Krieg betroffenen Gebiete der Alliierten und Assoziierten Mächte in dem von diesen Mächten bestimmten Umfange zu verwenden (§ 1 der Anlage IV zu Teil VIII Abschnitt I). Der Versailler Vertrag wurde am 28. Juni 1919 unterzeichnet. Zu diesem Zeitpunkt hatte Deutschland die von ihm besetzten Gebiete und das zu entmilitarisierende Rheinland geräumt und sich in Erfüllung der Waffenstillstandsbedingungen militärisch de facto selbst wehrlos gemacht. Zur Annahme des Vertrags gab es angesichts der ultimativen Drohung der Alliierten, bei Ablehnung die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen, für Deutschland keine Alternative. Die Höhe der Gesamtreparations-forderungen der Alliierten war zu diesem Zeitpunkt noch offen. Sie sollte dem Deutschen Reich bis spätestens 1. Mai 1921 (s. oben) mitgeteilt werden. Hinsichtlich der Höhe der Gesamtreparationsforderung hat Deutschland demnach mit dem Versailler Vertrag einen Blankoscheck unterschrieben. Die Umstände seines Zustandekommens wurden vom Reichpräsidenten, der Reichsregierung, dem Reichstag und der Mehrheit der Bevölkerung mit Empörung als offensichtliche Nötigung aufgefaßt (s oben: Erwiderung des Deutschen Delegationschefs Graf Brockdorff-Rantzau bei Übergabe des Vertragsentwurfa am 7. Mai 1919, Aufruf des Reichspräsidenten Ebert (SPD) und der Reichs- regierung vom 8. Mai 1919 und Rede des Reichsministerräsidenten Scheidemann (SPD) vor dem Reichstag am 12.Mai 1919). Die erste Äußerung über die Höhe der alliierten Gesamt-reparationsforderung wurde bereits Ende 1918 bekannt. Die britischen Regierung hatte ein "Committee on Indemnity" (Entschädigungskomitee) gebildet, das nach seinen Mitgliedern Hughes (Australischer Ministerpräsident) und Lord Cunliffe (ehem. Gouverneur der Bank von England) Hughes-Komitee oder Cunliff- Hughes-Komitee genannt wurde. Dieses hat eine Entschädigung-ssumme von 24 Mrd. Pfund berechnet, was beim Kurs von 1913 (ein englisches Pfund = 20,43 Mark) eine Gesamtforderung in Höhe von 490 Mrd. Goldmark bedeutet (59,60,61,62). Der einer Goldmark entsprechende Goldgehalt beträgt 0,35843 g , der einer Milliarde Goldmark 358,43 t und der von 490 Milliarden Goldmark 175.630,7 Tonnen. Zur Orientierung: Die derzeitigen Goldreserven der Bundesrepublik Deutschland betragen ca. 3.400 t . Die weltweiten in Zentral-banken gelagerten Goldreserven belaufen sich gegenwärtig auf etwa 30.000 Tonnen. Die gesamte, jemals geförderte Goldmenge wurde Ende 2009 auf etwa 165.000 Tonnen geschätzt, davon 65 Prozent seit 1950 (141, 142) . Nach Michael Freund (63) lautete das Ergebnis des Cunliff-Hughes Komitees 1000 Mrd. Mark zahlbar in "handlichen" Jahresraten von 50 Mrd. . Im Juni 1920 setzten die Alliierten auf der Konferenz von Bologne die Gesamtreparationsforderung auf 269 Mrd. Goldmark, zu zahlen in 42 Jahresraten, fest, was der (utopischen) Goldmenge von 97.417,8 t entsprach. Auf der Pariser Konferenz (29. Januar 1921) wurde diese Forderung übernommen und detailliert. Es wurden nunmehr gefordert 226 Mrd. Goldmark in 42 Jahresraten als unveränderliche Hauptsumme, dazu jährlich 12% der deutschen Ausfuhren im Wert von jeweils 1-2 Mrd. Goldmark zu zahlen. Von der Gesamtsumme sollten erhalten Frankreich 52%, England 22%, Italien 10%, Belgien 8% und andere Kriegsgegner die restlichen 8%. Deutschland erklärte die Forderungen der Höhe nach für nicht annehm- und unerfüllbar. Deutschlands Gegenvorschlag (50 Mrd. Goldmark) wurde abgelehnt und als Strafmaßnahme die Besetzung von Ruhrort, Düsseldorf und Duisburg durch alliierte Truppen vollzogen. Die danach tagende Londoner Konferenz endete mit dem sogenannten Londoner Ultimatum. Am 5. Mai 1921 wurde dem deutschen Botschafter in London die Forderung der Alliierten übergeben: 132 Mrd. Goldmark = 47.312,8 t Goldes, (beim gegenwärtigen Goldpreis (in 2010) von ca. 800 € pro Feinunze entspricht das der Kaufkraft von etwa 1.143 Mrd. Euro !!!) zu zahlen in 66 Jahresraten zu je 2 Mrd. . Darüber hinaus sollte Deutschland den Wert von 26% seiner Exporte an die Alliierten abführen, was zusätzlich etwa 2-3 Mrd. pro Jahr ausgemacht hätte. Für die Annahme wurde Deutschland eine Frist von 6 Tagen gesetzt, für den Fall der Nichtannahme die Besetzung des Ruhrgebietes angedroht. In Deutschland hatte das Londoner Ultimatum eine schwere Regierungskrise zur Folge. Das Kabinett Fehrenbach trat zurück. Die Nachfolgeregierung unter Reichskanzler Joseph Wirth sah sich angesichts des Fehlens jeglicher Widerstandsmöglichkeit gezwungen, die Forderungen der Alliierten zu akzeptieren (59, 60, 61, 62, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70). Das Deutsche Reich hatte seine Kriegskosten mit Anleihen finan- ziert, die im wesentlichen von seinen Bürgern gezeichnet worden waren, England und Frankreich hingegen mit vor allem in den USA aufgenommenen Krediten. Die USA waren nach Kriegsende nicht bereit, dem verbündeten England und Frankreich Schulden auch nur teilweise zu erlassen. Beide Mächte strebten an, ihre Kriegsschulden in den USA mit deutschen Reparationszahlungen zu begleichen. Deutschland mußte, um seinen Reparationspflichten genügen zu können, sich seinerseits hoch verschulden und lieh sich das erforderliche Geld ebenfalls auf dem US-Kapitalmarkt. Frankreich strebte neben der wirtschaftlichen auch eine politische und militärische Schwächung Deutschlands durch Gebietsabtretungen und Separationen an, wie z.B. die des Rheinlandes zu einem selbständigen Staat, begründete das mit einem aus der Geschichte abzuleitenden Sicherheitsbedürfnis und hätte eine Rückkehr zur deutschen Kleinstaaterei der vorwilhelminischen Ära wahrscheinlich als Optimum begrüßt. England mit seinem weltumspannenden Kolonialreich wünschte neben der wirtschaftlichen Schwächung die Beseitigung der deutschen Seemacht, hielt allerdings ein ausreichend starkes Deutschland als Schutzpuffer gegen das inzwischen bolschewistisch gewordene Rußland für erforderlich. Dem vermeintlichen oder tatsächlichen Sicherheitsbedürfnis aller entsprang die Bildung eines Gürtels Deutschland einkreisender Kunststaaten wie Polen, die Tschechoslowakei und Jugoslawien, ergänzt und begünstigt durch den Zerfall der k. und k. Doppelmonarchie und die Verhinderung des Anschlusses Deutschösterreichs an das Deutsche Reich. Hinzu kam die persönliche Gefühlslage der politisch Handelnden, die unterschiedlicher kaum sein konnte. Kurz vor der Parlamentswahl 1918 kursierten in London rabiate Worte des Ersten Lords der Admiralität, Geddes: "The Germans .... are going to pay every penny; they are going to be squeezed as a lemon is squeezed - until the pips squeek." (Die Deutschen werden jeden Penny bezahlen, sie werden ausgequetscht werden, wie eine Zitrone ausgequetscht wird - bis die (Zitronen-) Kerne quietschen) (59). Und im Januar 1922 wurde ein unerbittlicher Revanchepolitiker französischer Ministerpräsident: Raymond Poincarè. Der hatte seinen Wählern versprochen, Deutschland auszupressen wie einen Schwamm (72). Aus diesem Gemenge ineinander verflochtener und teilweise diametral entgegengesetzter Interessen und Auffassungen ergibt sich fast zwangsläufig, daß die Verhandlungen bei den Friedenskonferenzen in Versailles und den anderen Pariser Vororten durch grundlegende und heftige Auseinandersetzungen gekennzeichnet waren, was unter anderem dazu führte, daß wirtschaftliche und politische Vernunft weitestgehend außen vor blieben. Von Zeithistorikern wird das Ergebnis gern als "mühsam ausgehandelter Kompromiß" bezeichnet. Das war es auch; jedoch nicht in Bezug auf die Interessen und Belange Deutschlands sondern ausschließlich auf die der Siegermächte. Und eines war es überhaupt und ganz und gar nicht: sach- und realitätsbezogen. Und schließlich: dieser "mühsam ausgehandelte Kompromiß" hatte mit dem Wilsonschen 14-Punkte-Programm nicht mehr viel, so gut wie nichts mehr gemein. Aus alledem ergibt sich, auch fast zwangsläufig, der weitere Lauf der Dinge. Gemäß Artikel 235 Versailler Vertrag hatte Deutschland ab sofort und quasi a conto vor Feststellung der endgültigen Höhe der Reparationen während der Jahre 1919 und 1920 und in den ersten vier Monaten des Jahres 1921 den Gegenwert von 20 Milliarden (zwanzig Milliarden) Mark Gold zu zahlen, und zwar in soviel Raten und in den Arten (in Gold, Waren, Schiffen, Wert-papieren oder auf andere Weise), wie die Wiedergut-machungskommission sie festsetzen wird. Der Betrag wird von der Summe der bis Mai 1921 festzustellenden Gesamt-wiedergutmachung abgezogen. Als Bürgschaft und Schuldanerkenntnis gibt Deutschland in Gold zahlbare Schuldverschreibungen auf den Inhaber an die Wiedergut-machungskommission (Teil VII, Anlage II, § 12c Vers. Vertrag). Jede Verpflichtung Deutschlands zu Barzahlungen in Goldmark auf Grund des vorliegenden Vertrages ist nach Wahl der Gläubiger zu leisten in Pfund Sterling, zahlbar in London, Golddollars der Vereinigten Staaten von Amerika, zahlbar in New York, Goldfranken, zahlbar in Paris, und Goldliren, zahlbar in Rom. Zur Erfüllung dieses Artikels ist für diese Goldmünzen das Gewicht und der Feingehalt nach den für jede von ihnen am 1. Januar 1914 gesetzmäßig gewesenen Bestimmungen maßgebend (Artikel 262 Vers. Vertrag). Die Forderung entspricht einer Goldmenge von 7.168,6 t (Tonnen). Das ist mehr als das Doppelte der gegenwärtigen Goldreserven der Bundesrepublik Deutschland, beim derzeitigen Goldpreis von ca. € 800 pro Feinunze die Kaufkraft von 514,4 Mrd. Euro. Diese Last sollte Deutschland innerhalb zweier Jahre (Juni 1919 bis April 1921) schultern, ein Land, das die Umstellung von Kriegs- auf Friedenswirtschaft, die Wiedereingliederung der Kriegsteilnehmer in den Arbeitsprozess, kriegsbedingte Sozialleistungen großen Umfangs zu erbringen hatte, durch Gebietsabtretungen verursachten Abbruch eingespielter Binnenwirtschaftsbeziehungen, durch Gebietsabtretungen verlorene Rohstoffquellen, durch Gebietsabtretungen ein um 15% des Vorkriegsniveaus vermindertes Industriepotential, durch Gebietsabtretungen geminderte landwirtschaftliche Nutzfläche, durch Gebietsab-tretungen verursachten Zustrom von mehr als 1 Million Flüchtlingen und Ausgewiesenen (68), eine Staatsverschuldung von 153 Mrd. Mark, Warenverknappung, eine Aufblähung der Geldmenge auf das Vierfache des Vorkriegsniveaus, eine Industrieproduktion von nur 55% des Vorkriegsniveaus, rückläufige Steuereinnahmen und die aus alle dem resultierende Inflation zu bewältigen hatte. Der Wechselkurs der deutschen Währung lag in 1920/21 bei 60 Mark für einen US-Dollar (Vorkriegsniveau Mark 4,20 pro Dollar). Allein diese inner-deutsche Problematik bedingte zusätzliche Neuverschuldung, und die bedingte weiteren Inflationsauftrieb ( u.a. 71, 72, 73). Für die Aufbringung der geforderten Reparationen gab es nur zwei Möglichkeiten: Sie entweder aus Exportüberschüssen zu erwirtschaften oder die Rechnung der Siegermächte mit geliehenem Geld zu begleichen. Die deutsche Außenhan-delsbilanz war wegen der Notwendigkeit, Waren des täglichen Gebrauchs und Lebensmittel zur Versorgung der Bevölkerung in großem Umfang zu importieren, negativ. Das Zahlungsbilanzdefizit des Deutschen Reichs für die Jahre 1919-1921 beträgt 10 Milliarden Goldmark (73, Seite 283). Allein der Schuldendienst des Deutschen Reiches lag bei 126% der Staatseinnahmen (78). Die ohnehin geschmälerten Gold- und Devisenreserven des Deutschen Reiches schmolzen dahin. Dennoch mußte weitere Neuverschuldung im Ausland, ermöglicht durch den US-amerikanischen Kapitalmarkt, getätigt werden. Die Deutschen hatten nichts mehr. Ihre Ersparnisse waren inflationsbedingt mehr oder weniger vernichtet. Ökonomen wie Keynes, der die Mitarbeit in der alliierten Reparationskommission schließlich unter Protest einstellte, hatten schon während der Pariser Friedensverhandlungen 1919 vor den Folgen einer überzogenen Reparationspolitik gewarnt. Jedoch mangelte es weiterhin an wirtschaftlicher und politischer Vernunft. Insbesondere Frankreichs Ministerpräsident Poincarè, der die Nachfolge Clemenceaus angetreten hatte, konnte oder wollte nicht begreifen, daß man von einem Schuldner, den man wirtschaftlich zu Grunde richtet, nichts mehr bekommen kann und wird. Die deutsche Bevölkerung hatte seit dem Steckrübenwinter 1916/1917, verursacht durch das Zusammentreffen der alliierten Seeblockade (Kontinentalsperre) mit einer Kartoffelmißernte und später durch die Fortsetzung der alliierten Seeblockade bis zum 12. Juli 1919 Erhebliches zu erdulden gehabt. In Deutschland sind in dieser Zeit ca. 700.000 und in Oesterreich ca. 300.000 Menschen durch Unterernährung und ihre Folgen umgekommen. Lebensmittel mußten zunehmend schärfer rationiert werden. Der Schwarzhandel blühte alsbald (74, 75, 76, 77). Nach Aufhebung der Seeblockade kam es zunächst zu einer leichten Verbesserung der Lebensverhältnisse (u.a.71) , die ihrer Kurzfristigkeit wegen auch die Bezeichnung "Scheinblüte" erhielt. Alsbald aber wuchsen die Schwierigkeiten bei der Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und den notwendigsten Gebrauchsgütern des täglichen Bedarfs. Der zunehmenden sogenannten Geldmenge stand keine entsprechende Realwertzunahme gegenüber. Die Inflation nahm ein dramatisches Ausmaß an. Mußten in 1920/1921 ( s. oben ) noch 60 Mark pro US-Dollar gezahlt werden, waren es im Januar 1923 bereits 10.450 (72), im Mai 1923 70.000 (73), im Juli eine Million (73), im September 38 Millionen (72). Am 20. November 1923 wurde das Inflationsmaximum mit 4,2 Billionen Mark pro US-Dollar erreicht (79). "Mit fortschreitender Inflation hatte sich die Versor- gungslage der Bevölkerung laufend verschlechtert. Dem Anstieg der Preise für Waren und Dienstleistungen konnten die Löhne und Gehälter nicht folgen. Der Reallohn sank auf ca. 40 Prozent seines Vorkriegsniveaus, weite Teile der deutschen Bevölkerung verarmten. Vermögenswerte schmolzen dahin. Ersparnisse wurden völlig entwertet, Spargelder von Generationen vernichtet. Feste Erträge oder Zinsen waren praktisch wertlos. Durch Mangel an Kaufkraft verloren auch Immobilien ihren Wert und wurden bei Notveräußerungen geradezu verschleudert. Das chaotische Geldwesen hatte einen geregelten Wirtschaftsbetrieb unmöglich gemacht. Oft erfolgten die Lohnzahlungen täglich. Jedermann versuchte, Bargeld schnellstmöglich in Sachwerte einzutauschen. Ladenöffnungszeiten richteten sich nach den Bekanntgabeterminen für aktuelle Wechselkurse. In Restaurants konnte sich die Zeche während einer Mahlzeit verdoppeln. Kriminelle stahlen nun nicht mehr nur Geldbörsen, sondern durchsuchten ihre Opfer nach Wertsachen und rissen ihnen sogar Goldzähne heraus. Pfarrer hielten den Kirchgängern für die Kollekte nach den Gottesdiensten einen Wäschekorb hin" (78). Die Deutschen von damals sahen die Ursache allen Ungemachs in den Reparationen. "Für die Zeitgenossen sperrte die schwindelnde Tributhöhe sie in eine Zwangsjacke. Sie spürten ihre Atembeschwerden und brauchten nicht lange darüber (Anm. d. Verf.: über die Ursache) zu rätseln. Der Züchtigungscharakter offenbarte sich allenthalben" (u.a. 80) . Diese Hyperinflation fiel zeitlich zusammen mit der sogenannten Ruhrbesetzung. Auf Betreiben Poincarès stellte die Reparationskommission gegen die britische Stimme eine Verzug Deutschlands bei der Lieferung von Kohle und Holz fest, der, wenn er denn überhaupt existierte, gering war (u.a. 64, 68). Die französische und belgische Regierung teilten durch ihre Geschäftsträger in Berlin der Reichsregierung in gleichlautenden Noten am 10. Januar 1923 mit, im Zuge der Inbesitznahme "produktiver Pfänder" werde eine interalliierte Mission zur Kontrolle der Fabriken und Zechen in das Ruhgebiet entsandt und zu deren Schutz würden ihr belgische und französische Truppen beigegeben. Die Mission werde die vollständige Kontrolle der gesamten Industrieproduktion und Kohleförderung im Ruhrgebiet übernehmen und die hierzu notwendigen Anordnungen erlassen, denen von sämtlichen deutschen Einrichtungen und Dienststellen Folge zu leisten ist. Für etwaige Verstöße gegen solche Anordnungen und Befehle werden schwere Strafen angedroht (81). 50.000 französische und belgische Soldaten besetzen das Ruhrgebiet und riegeln es durch eine Militär- und Zollgrenze vom übrigen Reichsgebiet ab (72, 73). England, die USA und die deutsche Reichsregierung bestritten die Rechtmäßigkeit des französichen Vorgehens (u.a. 80). Reichspräsident Ebert (SPD) und die Reichsregierung unter Reichskanzler Dr. Wilhelm Cuno (parteilos) erlassen am 11. Januar 1923 einen Aufruf an das Deutsche Volk, in dem es heißt: "Ihr seid die Zeugen, wie Friede und Recht von neuem gebrochen werden. Mit euch erheben wie Protest vor der Welt gegen den Bruch des Vertrages, gegen den schweren Bruch des sittlichen Rechtes unseres Volkes auf Lebensbestand und Selbstbestimmung. ...... Vermehrte Not für unser sorgengedrängtes Volk muß der Einbruch in die Hauptstätten unserer Arbeit haben. ...... Schwerste Schuld am eigenen Volk würde auf sich laden, wer sich hinreißen ließe durch eine unüberlegten Tat den Gegnern in die Hand zu arbeiten" (82) . Der Aufruf vermeidet offensichtlich jede Aufforderung zu Gewalttaten. Die Deutsche Regierung stellt alle Reparations-leistungen ein. Die Ruhr verfällt in einen Todesschlaf (73). Die Bevölkerung reagiert mit passivem Widerstand. De facto handelt es sich um einen Generalstreik. Die Notwendigkeit, Betroffene und Notleidende zu unterstützen, führt zum Verbrauch der letzten Gold- und Devisenreserven des Deutschen Reiches und zu dessen Zahlungsunfähigkeit. Das Kabinett Cuno tritt am 12. August 1923 zurück. Gustav Stresemann (DVP) folgte mit dem sogenannten Kabinett Stresemann I. Verlauf und Folgen der Ruhrbesetzung, die auch als Ruhrkrieg bezeichnet wird, lassen sich in ihrer ganzen Tragik summarisch aus dem gemeinsamen Aufruf des Reichspräsidenten Friedrich Ebert (SPD) und der Reichsregierung unter Reichskanzler Stresemann (DVP) an das Deutsche Volk vom 26. September 1923 (83) entnehmen, der deshalb ungekürzt wiedergegeben werden soll: "An das deutsche Volk! Am 11. Januar (1923) haben französische und belgische Truppen wider Recht und Vertrag das deutsche Ruhrgebiet besetzt. Seit dieser Zeit hatten Ruhrgebiet und Rheinland schwerste Bedrängnis zu erleiden. Über 180.000 deutsche Männer, Frauen, Greise und Kinder sind von Haus und Hof vertrieben worden. Für Millionen Deutsche gibt es den Begriff der persönlichen Freiheit nicht mehr. Gewalttaten ohne Zahl haben den Weg der Okkupation begleitet, mehr als 100 Volksgenossen haben ihr Leben dahingeben müssen, Hunderte schmachten noch in Gefängnissen. Gegen die Unrechtmäßigkeit des Einbruchs erhob sich Rechtsgefühl und vaterländische Gesinnung. Die Bevölkerung weigert sich, unter fremden Bajonetten zu arbeiten. Für diese, dem Deutschen Reich in schwerster Zeit bewiesene Treue und Standhaftigkeit dankt das ganze deutsche Volk. Die Reichsregierung hatte es übernommen, nach ihren Kräften für die leidenden Volksgenossen zu sorgen. In immer steigendem Maße sind die Mittel des Reiches dadurch in Anspruch genommen worden. In der abgelaufenen Woche erreichten die Unterstützungen für Rhein und Ruhr die Summe von 3.500 Billionen Mark, in der laufenden Woche ist mindestens die Verdoppelung dieser Summe zu erwarten. Die einstige Produktion des Rheinlandes und des Ruhrgebiets hat aufgehört. Das Wirtschaftsleben im besetzten und unbesetzten Deutschland ist zerrüttet. Mit furchtbarem Ernst droht die Gefahr, daß bei Festhalten an dem bisherigen Verfahren die Schaffung einer geordneten Währung, die Aufrechterhaltung des Wirtschafts-lebens und damit die Sicherung der nackten Existenz für unser Volk unmöglich wird. Diese Gefahr muß im Interesse der Zukunft Deutschlands ebenso wie im Interesse von Rhein und Ruhr abgewendet werden. Um das Leben von Volk und Staat zu erhalten, stehen wir heute vor der bitteren Notwendigkeit, den Kampf abzubrechen. Wir wissen, daß wir damit von den Bewohnern der besetzten Gebiete noch größere seelische Opfer als bisher verlangen. Heroisch war ihr Kampf, beispiellos ihre Selbstbeherrschung. Wir werden niemals vergessen, was diejenigen erlitten, die im besetzten Gebiet duldeten. Wir werden niemals vergessen, was diejenigen aufgaben, die lieber die Heimat verließen, als dem Vaterlande die Treue zu brechen. Dafür zu sorgen, daß die Gefangenen freigegeben werden, daß die Verstoßenen zurückkehren, bleibt die vornehmste Aufgabe der Reichsregierung. Vor allen wirtschaftlichen und materiellen Sorgen steht der Kampf für diese elementaren Menschenrechte. Deutschland hat sich bereit erklärt, die schwersten materiellen Opfer für die Freiheit deutscher Volksgenossen und deutscher Erde auf sich zu nehmen. Diese Freiheit ist uns aber kein Objekt für Verhandlungen oder Tauschgeschäfte. Reichspräsident und Reichsregierung versichern hierdurch feierlich vor dem deutschen Volke und vor der Welt, daß sie sich zu keiner Abmachung verstehen werden, die auch nur das kleinste Stück deutscher Erde vom Deutschen Reich loslöst. In der Hand der Einbruchsmächte und ihrer Verbündeten liegt es, ob sie durch Anerkennung dieser Auffassung Deutschland den Frieden wiedergeben oder mit der Verweigerung dieses Friedens all die Folgen herbeiführen wollen, die daraus für die Beziehungen der Völker entstehen müssen. Das deutsche Volk fordern wir auf, in den bevorstehenden Zeiten härtester seelischer Prüfung und materieller Not treu zusammenzustehen. Nur so werden wir alle Absichten auf Zertrümmerung des Reiches zunichte machen, nur so werden wir der Nation Ehre und Leben erhalten, nur so ihr die Freiheit wiedergewinnen, die unser unveräußerliches Recht ist! Berlin, 26. September 1923, Der Reichspräsident: E b er t Die Reichsregierung: Dr. Stresemann, Schmidt, Dr. Geßler, Dr. Brauns, v. Räumer, Dr. Radbruch, Oeser, Dr. Luther, Dr. Hilferding, Fuchs, Dr. Höfle" (83) .
Am Ende des Ruhrkrieges stand der Totalruin der deutschen Wirtschaft und Währung (80) . Doch zurück zu den Reparationszahlungen: Wirtschaft, Finanzlage und Währung de Deutschen Reichs befanden sich in den Jahren nach dem Krieg im Zustand schwerster Zerrüttung. Die drückende Mangellage bei Lebensmitteln, Rohstoffen und Gegenständen des täglichen Bedarfs zwang zu Käufen im Ausland, denen gleichwertige Exporte nicht gegenüber standen. In den Jahren vor 1924 gab es keine offizielle Statistik, Handels- und Zahlungsbilanz. Sachverständige haben für die Jahre von 1919 bis 1922 ein Zahlungsbilanzdefizit von 10 Milliarden Goldmark ermittelt. Konnte die Reichsregierung im August 1921 eine fristgerechte Reparations-Barzahlung von 1 Mrd. Goldmark leisten, mußte sie infolge des raschen Währungsverfalls bereits im Januar und Februar 1922 um Stundung der fälligen Zahlungen nachsuchen (73) . Auf britische Iniative hin fanden Treffen alliierter Staatsmänner mit dem Ziele einer Regelung der zutage getretenen Reparationsprobleme im Januar 1922 (Cannes) und April 1922 (Genua) statt. Sie blieben ergebnislos, nicht zuletzt, weil mit Poincarè ein unversöhnlicher Revanchepolitiker in Frankreich an die Macht gekommen war, der auf uneingeschränkte Ausführung der Vertragsbestimmungen von Versailles bestand. Als im Januar 1923 die deutsche Reichsregierung ein vierjähriges Moratorium fordern mußte, kam es zur offenen Konfrontation mit Frankreich. Das Kabinett Cuno weigerte sich, den Alliierten erkennbar unerfüllbare Zusagen zu machen. Das Ergebnis war die Ruhrbesetzung. Die französisch-belgische Ruhrkontrollkommission verhandelte mit 6 großen Ruhrunternehmen, sodaß Ende 1923 wieder Reparationskohle geliefert wurde: MICUM-Abkommen, das französischerseits ganz offensichtlich auch der Förderung separatistischer Tendenzen und Strömungen in Deutschland diente. Die beteiligten deutschen Unternehmen wurden 1925, also nach der Währungsreform, von der Reichsregierung mit 700 Millionen Reichsmark entschädigt (64, 84, 85) .
Ende 1923 wurden von der deutschen Reichsregierung Überlegungen angestellt, wie der galoppierenden Inflation Einhalt zu gebieten und die zerrüttete Wirtschaft zu sanieren sei. Zeitgleich kamen auf Druck Englands und der USA Beratungen zur Frage der deutschen Reparationen zustande. Man hatte jedenfalls in diesen beiden Ländern begriffen, daß man von einem wirtschaftlich ruinierten Schuldner letztendlich nichts mehr fordern und erwarten könne. Die deutsche Währungsreform von 1923/1924 hatte eine komplizierte Konstruktion. Im November 1923 wurde die Deutsche Rentenbank gegründet. Ihr Grundkapital von 3,2 Mrd. Rentenmark war durch eine Globalhypothek der deutschen Landwirtschaft und des gesamten deutschen Gewerbes, mithin durch nicht vermehrbare Sachwerte besichert. Als neues Geld wurden dann am 15. November 1923 auf Rentenmark lautende Rentenbankscheine emittiert. Gleichzeitig wurden keine kurzfristigen staatlichen Schuldtitel mehr diskontiert. Seit diesem Datum kursierten zwei Währungen gleichzeitig - die Rentenmark und die Papiermark. Dabei galten folgende Wertverhältnisse: Eine Rentenmark entsprach 0,35842 Gramm Feingold. Da der Wechselkurs zu einem US-Dollar 4,2 Billionen (Papier-)Mark betrug und festgelegt wurde, dass 1 Billion (Papier-)Mark einer Rentenmark entsprach, ergab sich zum US-Dollar die Vorkriegsparität von 4,2 Rentenmark pro US-Dollar. Jedoch kursierte die Rentenmark als provisorische neue Währung nur im Inland. Außerdem war die Rentenmark kein gesetzliches Zahlungsmittel, mußte aber von allen öffentlichen Kassen angenommen werden. Die Knappheit des neuen Geldes wurde auch dadurch unterstrichen, dass die Rentenbank von den 3,2 Mrd. Rentenmark lediglich je 1,2 Milliarden Rentenmark ausgab bzw. dem Staat als zinslosen Kredit einräumte, während 0,8 Milliarden Rentenmarkscheine als Reserve bei der Rentenbank blieben. Dieser innen-, wirtschafts- und finanzpolitische Kraftakt gedieh zu einem vollen Erfolg, in welchem Zusammenhang die Namen Dr. Hjalmar Schacht, Bankier und später Reichsbankpräsident und Dr. Hans Luther, seinerzeit Deutscher Finanzminister, zu nennen sind (78, 86) . Die Wiedergutmachungs- oder Reparationskommission der alliierten und assoziierten Mächte beschloß am 30. November 1923 die Einrichtung eines Sachverständigenausschusses zur Entwicklung eines der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands angepaßten Reparationsplans. Vorsitzender war der amerikanische Rechtsanwalt und Finanzexperte Charles G. Dawes. Der nach ihm benannte Plan hatte im wesentlichen folgenden Inhalt: Deutschland sollte 1924 eine Rate von 1 Mrd. Goldmark zahlen. Die Jahresraten sollten bis 1928 auf 2,5 Mrd. ansteigen. Bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten hatte Deutschland das Recht eine Überprüfung seiner Zahlungsfähigkeit zu verlangen. 55% der Reparationen sollten in Geld, der Rest mit Sachleistungen bezahlt werden. Kein einzelnes Gläubigerland hatte mehr das Recht, Sanktionen gegen Deutschland vorzunehmen. Die Ruhrzollgrenzen waren zu beseitigen, die Wirtschafts- und Steuereinheit des Deutschen Reiches wieder herzustellen. Frankreich war nicht mehr von Poincarè sondern von seinem Nachfolger Herriot vertreten, der die Räumung des Ruhrgebietes und der besetzten Rheinhäfen binnen Jahresfrist zusagte. Die MICUM-Verträge mit den deutschen Ruhrunternehmen wurden aufgehoben. Deutschland erhielt als Anschubfinanzierung eine Außenanleihe von 800 Millionen Reichsmark (Dawes-Anleihe). Der Vertrag wurde am 16. August auf der Londoner Konferenz von 1924 unterschrieben. Am 29. August wurde der Plan vom Deutschen Reichstag ratifiziert und trat am 1. September 1924 in Kraft. Die erforderliche Mehrheit im Reichstag wurde nicht zuletzt durch die Zusage der Räumung der Ruhr erreicht (73,87,88) . J.R. von Salis äußert dazu, "daß die fünf Jahre seit Kriegsende böse Erinnerungen hinterlassen hatten, die nicht so leicht aus den deutschen Gemütern ausgetilgt werden konnten" (73) . Schon ein Jahr später, nämlich am 07. September 1925, schrieb Dr. Stresemann in seinem berühmten "Kronprinzenbrief" (Anm. d. Verfassers: Brief an Kronprinz Wilhelm), daß Deutschland ab 1927 nicht mehr in der Lage sein werde, die Reparations-forderungen zu erfüllen (64) . Nach Inkrafttreten des Dawes-Plans war die Entwicklung weiterhin durch die interalliierte Schuldenverflechtung gekennzeichnet: Frankreich und England hatten sich gegenüber den USA zwecks Aufbringung ihrer Kriegskosten hoch verschuldet, Frankreich zusätzlich gegenüber England. Beide wollten und konnten ihre Schulden nur aus deutschen Reparationen begleichen und die USA verlangten seit 1919 ihr Geld zurück. Deutsche Reparationen konnten aber nur fließen, solange Deutschland zahlungsfähig war. Frankreich hatte Mühe, nach seiner Inflation von 1924/1925 die eigene Währung stabil zu erhalten. Der amerikanische Kapitalmarkt war ihm wegen ausstehender Kriegsschuldenrückzahlungen verschlossen. In der Wall Street und beim US-Schatzamt wuchs die Besorgnis, Deutschland, das seit 1924 Kredite von insgesamt 10 Mrd. Reichsmark aufgenommen hatte, könne in eine existenzbedrohende Überschuldung geraten und zahlungsunfähig werden. Frankreich pochte auf vollständige Erfüllung der deutschen Reparationsleistungen, woran mehrere Iniativen scheiterten, die interalliierten Probleme wenigstens Teillösungen zuzuführen. Eine entscheidende Iniative entwickelte der amerikanische Reparationsagent Seymour Parker Gilbert, der in dieser Funktion mit Sitz in Berlin im Auftrag der interalliierten Reparationskommission die Durchführung des Dawes-Plans zu überwachen hatte. Sein Plan: Die gesamte deutsche Reparationsschuld als Anleihe in Frankreich auf den Markt bringen. Französische Banken und Privatanleger erhielten vom Deutschen Reich die daraus resultierenden Zinsen und Tilgungen. Frankreich erhielte sofort die ihm zugewiesene Gesamtreparationszahlung und könne seine interalliierten Schulden mit günstigem Disagio in einem Zuge begleichen. Um Deutschland diesem Plan geneigt zu machen, sollte Frankreich die Besetzung des Rheinlandes früher beenden, als im Versailler Vertrag vorgesehen. Deutschland, Frankreich, England, Belgien, Italien und Japan einigten sich auf die Einrichtung einer interalliierten Sachverständigenkommission zur Regelung der Reparationsfrage, die unter dem Vorsitz des Amerikaners Owen D. Young im Februar 1929 in Paris ihre Tätigkeit aufnahm (89, 90) . Der von dieser erarbeitete sogenannte "Neue Plan" = Young-Plan wurde auf den Haager Konferenzen vom 06. bis 31. August 1929 und 03. bis 20. Januar 1930 be- und verhandelt, wobei die interalliierte Verschuldungssituation und die emotionale Verfassung der beteiligten Regierungen erhebliche Meinungsverschiedenheiten, z. T. offenen Streit und einige Änderungen des ursprünglichen Entwurfs bedingten. Der Young-Plan trat am 17. Mai 1930 rückwirkend zum 1. September 1929 in Kraft. Das schlußendlich unterzeichnete und ratifizierte Ergebnis zusammenfassend zu formulieren bereitet wegen unterschiedlicher Angaben in den eingesehenen Quellen einige Schwierigkeiten. Die Gesamthöhe der zu leistenden Reparationen wird mit 34,5 Mrd. Reichsmark (91) , 36 Mrd. Reichsmark (89) , 37 Mrd. Goldmark (60, 61) , 37 Mrd. Reichsmark (92) , 108 Mrd. Goldmark (93) , 112 Mrd. Goldmark (64, 67, 94) , 112 Mrd. Reichsmark (90) , 113,9 Mrd. Mark (95) angegeben. Die vom Deutschen Reich begebene Schuldverschreibung war mit 5,5 % zu verzinsen. Die differierenden Angaben haben ihre Ursache offensichtlich darin, daß die Zahlen 34,5 bis 37 Mrd. die tatsächlichen Reparationen meinen und die Zahlen von 108 bis 113,9 Mrd. Reparationen + Zinsen (!), wobei die letztgenannte zusätzlich den Kapitaldienst für die Dawes-Anleihe beinhaltet (95) . Die vom Deutschen Reich zu tragende Zinslast ist demnach doppelt so hoch wie die eigentliche Repara-tionszahlung. Der Zahlungsplan erstreckt sich auf 59 Jahre bis 1988. Bei einer Gesamtsumme von 112 Mrd. ergibt sich für 59 Jahre eine durchschnittliche Jahresbelastung von 1,898 Mrd. . Weitere wesentliche Bestandteile des Young-Plans sind Räumung des besetzten Rheinlandes am 30. Juni 1930 (96) , Gründung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die alle Funktionen der interalliierten Reparationskommission und des Reparationsagenten übernimmt (u.a. 89) . Die sich anbahnende und schließlich rasch entwickelnde Weltwirtschaftskrise zeigte alsbald Wirkung. Die deutsche Reichsregierung unter Reichskanzler Brüning versuchte durch Ausweitung der Exporte die für die Erfüllung des Young-Plans erforderlichen Mittel zu erwirtschaften. Das schlug fehl, weil die Gläubigerländer, mehr oder weniger durch die Weltwirt-schaftskrise gezwungen, ihre Märkte abschotteten. Im Frühjahr 1931 wurden kurzfristige Kredite von ausländischen Investoren aus Deutschland zunehmend abgezogen und neue nicht gewährt. Am 13. Juli 1931 schlossen alle deutschen Banken für einige Tage. Devisentransfer ins Ausland wurde eingestellt. Deutschland war zahlungsunfähig (u.a. 64) . Deutschland mußte angesichts der Kapitalflucht ein Zahlungsmoratorium verhängen und stellte namentlich die USA vor die Wahl, als Gläubiger der letzten Hand entweder die Reparationen zu streichen oder die deutschen Neuschulden könnten nicht mehr bedient werden. Diese Logik beeindruckte US-Präsident Hoover, der zunächst ein allseitiges einjähriges Zahlungsmoratorium herbeiführte. Allmählich setzte sich bei den Gläubigern die Erkenntnis durch, daß, wenn sie von ihren an Deutschland verliehenen Milliarden je etwas wiedersehen wollten, die Streichung der Reparationen erforderlich war, weil Deutschland in Zukunft, auch nach einer Erholung der Weltwirtschaft, Reparationen zu zahlen und gleichzeitig Neuverschuldung zu bedienen, nicht werde leisten können. Die Londoner Konferenz im Herbst 1931 befasste sich mit der Zahlungsfähigkeit des Deutschen Reiches im Hinblick auf seine Reparationsverpflichtungen gegenüber den Siegermächten des Ersten Weltkrieges. Die nach dem Brsenkrach von 1929 an der Wall Street ausgebrochene Weltwirtschaftskrise hatte den Schuldner in eine schwierige Lage gebracht. Zahlungen im Rahmen des Young-Plans waren gefährdet. In zwei Gutachten vom Herbst 1931, dem Layton-Bericht (Londoner Konferenz) und dem Beneduce-Bericht (Bank für Internationalen Zahlungsaus-gleich), wurde die Zahlungsunfähigkeit Deutschlands nach dem Ende des Hoover-Moratoriums von internationalen Finanzexperten bescheinigt und der Beneduce-Bericht sprach ungeschminkt aus, auch die Young-Kommission habe die wirtschaftliche Entwicklung falsch eingeschätzt (97) . Layton- und Beneduce-Bericht waren die Grundlage für die Konferenz von Lausanne, die im Sommer 1932 die deutschen Reparationsverpflichtungen gegen eine Restzahlung von drei Milliarden Goldmark (in Devisen) aufhob. Das Deutsche Reich übergab der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel Schuldverschreibungen in dieser Höhe, die innerhalb von 15 Jahren als Anleihe auf den Markt gebracht oder, falls das nicht gelinge, vernichtet werden sollten. Der Vertrag von Lausanne wurde von den beteiligten Staaten nie ratifiziert, die deutschen Schuldverschreibungen 1948 in Basel feierlich verbrannt (64, 97, 98). Nach der Konferenz von Lausanne hatte Deutschland demnach "nur" noch bis dahin "privatisierte" Reparationen, nämlich die Kredite zu bedienen, die es zur Erfüllung der bis dahin geleisteten Reparationen aufgenommen hatte, u.a. die Dawes- und Young-Anleihe. 1934 (61) stellte die deutsche Regierung unter dem Reichskanzler Adolf Hitler sämtliche Zahlungen ohne Diskussion (66) ein (61, 89) . Etwas anders die Darstellung bei Jörg Friedrich (80) , wonach die in private Kreditschulden umgewandelten Reparationsschulden auch von der NS-Regierung und sogar noch im zweiten Weltkrieg mit Tilgungs- und Zinszahlungen bedient wurden, je nachdem, in wessen Hand sich die Anteilscheine befanden. Hier galt das Freund/Feind-Prinzip. Engländer wurden 1944 nicht mehr bedient, Schweizer und Schweden sehr wohl (80) . Bis dahin sind schätzungsweise 68 Mrd. Goldmark Reparationen gezahlt worden (61, 66, 98) , womit im wesentlichen die reinen Geldzahlungen beziffert sind. Wegen der unklaren Bewertung erbrachter Sachleistungen und konfiszierter Sachwerte, Patente und Rechte in den chaotischen Jahren unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg ist die Gesamthöhe erbrachter Entschädigungen kaum zu ermitteln. Bei der Besetzung von Rheinland und Ruhrgebiet wurde das Land als "Selbstbedienungsladen ohne Kasse benutzt". Eine Bewertung der annektierten Reichsgebiete und Kolonien ist "offiziell nicht bekannt und vermutlich auch nie versucht worden" (61) . Nach mittlerer amerikanischer Schätzung waren Lasten im Wert von 39 Milliarden Mark abgetragen worden. Die Deutschen errechneten unter Einbe-ziehung des Staatseigentums in den annektierten Reichsgebieten und Kolonien 100 Mrd. Mark (80) . Formal war das Kapitel "Reparationen" nach dem 1932er Abkommen von Lausanne beendet, tatsächlich jedoch nicht. 1953 wurde das Londoner Schuldenabkommen geschlossen, in dem sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtete, für Schulden des Deutschen Reiches aufzukommen, die, weil vor dem 2. Weltkrieg entstanden, als Vorkriegsschulden bezeichnet werden. Nur von denen soll hier die Rede sein. Sie sind zu unterscheiden von "Nachkriegsschulden", die nach dem 2. Weltkrieg, z.B. durch den Marschallplan, Kosten der Besatzung und Versorgungsleistungen der Siegermächte verursacht worden waren. Deren Begleichung wurde ebenfalls im Londoner Schuldenabkommen von 1953 festgelegt. Dieses ist ein umfangreiches und kompliziertes, sehr detailliert regelndes Dokument, welches im Hohlfeld (99) 49 Druckseiten einnimmt. Hinsichtlich der Vorkriegsschulden wurden Forderungen von 70 Staaten berücksichtigt, von denen 21 als Verhandlungs-teilnehmer und Vertragsunterzeichner unmittelbar in Erscheinung traten. Länder des Ostblocks waren nicht beteiligt; deren Ansprüche blieben unberücksichtigt (100). Das Abkommen regelt, welche Schulden unter welchen Bedingungen anerkannt und in welchem Umfang bedient werden sollen. Als eindeutig im Zusammenhang mit der Kreditaufnahme des Deutschen Reiches zwecks Erfüllung damaliger Reparationsforderungen stehend sind zu nennen die Dawes-Anleihe, die Young-Anleihe, die Anleihe des schwedischen Zündholzkonzerns unter dem "Zündholzkönig" Ivar Kreuger von 1930 (Zündholz- oder Kreuger-Anleihe), sowie die 6,5%ige Preußische Äußere Anleihe von 1926 und die 6%ige Preußische Äußere Anleihe von 1927. Es darf zu Recht angenommen werden, daß letztlich die gesamten Vorkriegs-schulden des Deutschen Reiches durch die für Deutschland aus dem Versailler Vertrag sich ergebende Summe wirtschaftlicher Lasten entstanden sind: Die Deutschen mußten nicht nur die geforderten Reparationen sondern auch einen erheblichen Teil ihres Lebensunterhalts mit geliehenem Geld bezahlen. Dank der geschickten Verhandlungsführung der deutschen Delegation 1953 in London unter Hermann Josef Abs und des mäßigenden Einflusses der USA, die zu dieser Zeit in Korea Krieg führten und ein fest in den Westen eingebundenes Deutschland wünschten, das nach Wiederbewaffnung einen Teil der westlichen Verteidigungslasten übernehmen könne und würde, gelang es, sich für die deutschen Vorkriegsschulden in London auf 7,3 Milliarden DM, zahlbar in Jahresraten von zunächst 340 Millionen DM zu einigen. Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, daß gleichzeitig (nach dem zweiten Weltkrieg entstandene und deshalb so sogenannte) Nachkriegsschulden von knapp 6 Milliarden DM zurückzuzahlen waren, sodaß die Bundesrepublik in den ersten 5 Jahren ab 1953 Annuitäten von 563 Millionen DM und danach von 765 Millionen DM zu leisten hatte. 1983 waren der größte Teil und 1988 schienen mit einer letzten Zahlung die gesamten deutschen Auslandsschulden aus dem Londoner Abkommen beglichen zu sein (100) , wenn da nicht die "Schatttenquote" gewesen wäre (104) . Wegen der durch die deutsche Teilung bedingten territorialen Einschränkung hatte man im Londoner Abkommen die oben genannten 5 Anleihen betreffende Zinsrückstände aus den Jahren 1937 bis 1952 ruhen lassen. Sie sollten erst bei einer damals von niemandem erwarteten deutschen Wiedervereinigung geregelt werden. Diese kam bekanntlich 1989. Zur Bedienung der genannten Zinsrückstände legte die Bundesrepublik 1990 3%ige Fundierungschuld- verschreibungen mit 20 jähriger Laufzeit auf, mit denen die Zinsansprüche der Anteilseigner der o.g. Anleihen befriedigt wurden und werden (99, 100, 101, 103, 104) . Über die Höhe der Zinsrückstände gibt es unterschiedliche Angaben. Sie sollen aus Dawes-, Young- und Kreuger-Anleihe ca 240 Millionen DM betragen (100, 101) . Getilgt werden muß ja aber wohl auch. Von 1990 bis 2002 seien an Zinsen 75 Mio. DM und an Tilgung 22 Mio DM gezahlt worden (101) . In 2002 zahlte die Bundesrepublik 4,1 Mio. Euro. Bis 2010 sollen Zahlungen von 95 Mio. Euro abschließend erfolgen (100) . Die Bundesrepublik zahlt also immer noch Reparationsschulden von 1919, fast 10 Mio. Mark pro Jahr bis 2020 (102) . Die Zinsen aus der Schattenquote, seit dem 3. Oktober 1990 wieder fällig, betragen 251 Mio. DM, werden aus dem Bundeshaushalt durch Bedienung der Fundierungsschuldverschreibungen getilgt, die letzten am 3. Oktober 2010. Tilgung und Zinsen betragen für 2010 etwa 56 Mio. Euro (64) . Tilgung und Zinsen belaufen sich auf etwa 4 Mio. Euro pro Jahr (94) . In einer anderen Quelle ist von 58 Mio. Euro für Zinsen und 125 Mio. Euro für Tilgungen zwischen 1990 und 2010 die Rede (106). Die Gesamtschuld aus den Fundierungsschuldverschreibungen beträgt 251 Mio DM. Der Endfälligkeitszeitpunkt ist 2010 (105) . Die Angaben verschiedener Quellen differieren hinsichtlich der Höhe der Zahlungen erheblich. Aber auch in Bezug auf die Zahlungsdauer gibt es Differenzen. Die vorstehend zitierten Quellen weisen 20 Jahre bis 2010 aus. Andere (61, 65, 66, 80, 102) geben eine Zahlungsdauer bis 2020 an. Staatssekretär Karl Diller (101) sagte bei Beantwortung einer schriftlichen Anfrage im Deutschen Bundestag, der Zahlungszeitraum sei gar nicht begrenzt. Es gibt Anleger, die sich geweigert haben, ihre Anteile, für die die ursprünglich vereinbarte Goldklausel gilt, in Fundierungs- schuldverschreibungen der Bundesrepublik umzutauschen und deshalb vor US-Gerichten klagen. Im Falle eines Erfolges solcher Klagen dürften erheblich höhere Forderungen zu bedienen sein (89, 107) .
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6.5 Sonstiges / Verschiedenes Dr. Wilhelm Marx, Jurist, von 1923-1925 und von 1926-1928 Deutscher Reichskanzler veröffentlichte unter dem Titel " Die Rechtsgrundlagen der Pariser Friedensverhandlungen und ihre Verletzung durch den Vertrag von Versailles" eine umfangreiche Stellungnahme, der völkerrechtliche Gutachtenqualität zukommt. Er führt darin aus, der Notenwechsel zwischen der Deutschen Reichsregierung und dem amerikanischen Präsidenten habe, weil in dessen letzter Note ein Memorandum aller Kriegsgegner Deutschlands enthalten ist, zu einer völkerrechtlich verbindlichen Übereinkunft nicht nur mit den USA sondern auch mit allen übrigen Feindstaaten dahingehend geführt, einen Friedens-vertrag nach den Grundsätzen des Wilsonschen 14-Punkte-Programms auszuhandeln, einen "Frieden ohne Sieger und Besiegte". Diese Übereinkunft sei von den Siegermächten auf das gröbste verletzt worden. Nicht nur, daß die Alliierten "ihrem Versprechen, auch ihrerseits abzurüsten untreu geworden sind. Das um Deutschland sich lagernde neue Europa starrt von Waffen, wie es vor dem Kriege nie der Fall war." Das versprochene Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde mit Füßen getreten: Versailles hat 40 Millionen Angehörige von Minderheitsbevölkerungen mit allen ihren Nöten im neuen Europa produziert. Von besonderer Brisanz die Artikel 290, 292 und 293 des Versailler Vertrages, "in denen alle Verträge, Übereinkommen und Abmachungen, die Deutschland seit dem 1. August 1914 mit seinen Verbündeten oder mit Russland (Anm. d. Verf.: dazu gehört auch der Friedensvertrag von Brest-Litowsk mit Sowjetrußland) und Rumänien abgeschlossen hatte, ohne weiteres aufgehoben wurden mit der Begründung, daß bei deren Abschluss Deutschland die von ihm selbst herbeigeführten Umstände missbraucht und einen Druck durch die augen- blickliche Gewalt seiner Waffen ausgeübt habe. Die Aufrechterhaltung dieser Verträge, die Deutschland seinen Verbündeten wie den augenblicklich niedergeworfenen Gegnern aufgezwungen habe, sei unvereinbar mit einem Frieden des Rechts, welches auch die Folgen ihrer Aufhebung für Deutschland seien", womit die Alliierten die rechtsvernichtende Wirkung des Zwanges postulieren, was sie aber nicht abhielte, sich gegenüber Deutschland der gleichen Mittel und Methoden zu bedienen (108) . In dem Notenwechsel zwischen der Reichsregierung und Präsident Wilson vor dem Waffenstillstand (s. oben Dokument 166 d, Wilsons 2. Note) kommt unverhohlen die Forderung nach einer Beseitigung der Monarchie als einer "willkürlichen Macht" in Deutschland zum Ausdruck. Eine Änderung der Verfassungs-verhältnisse in Deutschland sei Vorbedingung für den Frieden. Das ist nach dem damals geltenden Völkerrecht als ein den Grundsatz der Nichtein- mischung grob verletzender Akt der Verfassungsintervention anzusehen (109) . Später wurde die Behauptung verbreitet, eine Zuweisung der Alleinschuld Deutschlands am Ausbruch des ersten Weltkriegs habe es nicht gegeben. Die Alleinschuldthese sei vielmehr entstanden durch Übersetzungsfehler und Fehlinterpretation der Wiedergutmachungsbestimmungen des Versailler Vertrages, die deutscherseits getätigt worden waren. Bei den Wiedergut-machungsbestimmungen des Artikels 231 habe es sich nicht um Zuweisung der Alleinschuld am Kriegsausbruch sondern um Wiedergutmachungsforderungen im Sinne von Schadensersatz gehandelt. Ein Blick in die sogenannte Mantelnote beweist jedoch eindeutig das Gegenteil. Das ist natürlich auch denjenigen peinlich, die an Versailles wesentlich mitgewirkt haben und inzwischen eingestehen mußten, daß diese Alleinschuldthese nicht mehr ernsthaft aufrecht erhalten werden kann (u.a. 110) . Ein besonderes Kapitel, in dem die Konstatierung der alleinigen Schuld Deutschlands am 1. Weltkrieg unwiderlegbar zum Ausdruck kommt, ist der Abschnitt VII des Versailler Vertrages, der kommentarlos wiedergegeben wird: Teil VII Strafbestimmungen. Artikel 227. Die alliierten und assoziierten Mächte stellen Wilhelm II. von Hohenzollern, ehemaligen deutschen Kaiser, unter öffentliche Anklage wegen schwerster Verletzung der internationalen Moral und der Heiligkeit der Verträge. Ein besonderer Gerichtshof wird gebildet werden, um den Angeklagten unter Wahrung der wesentlichen Bürgschaften seines Verteidigungsrechtes zu richten. Der Gerichtshof wird aus vier Richtern bestehen, die von jeder der nachstehenden vier (?) Mächte ernannt werden, nämlich den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan. Der Gerichtshof wird sich bei seinem Urteil von den höchsten Grundsätzen der internationalen Politik leiten lassen, er wird besorgt sein, die Achtung der feierlichen Verpflichtungen und der internationalen Verträge sowie der internationalen Moral zu sichern. Ihm steht es zu, die anzuwendende Strafe nach seinem Ermessen zu bestimmen. Die alliierten und assoziierten Mächte werden an die niederländische Regierung ein Ersuchen richten, ihnen den ehemaligen Kaiser zum Zwecke seiner Aburteilung auszuliefern. Artikel 228. Die deutsche Regierung erkennt die Befugnis der alliierten und assoziierten Mächte an, vor ihre Militärgerichte solche Personen zu stellen, die wegen einer gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges verstoßenden Handlung angeklagt sind. Auf die für schuldig Befundenen finden die in den Gesetzen vorgesehenen Strafen Anwendung. Diese Bestimmung gilt ohne Rücksicht auf irgendein Verfahren oder eine Verfolgung vor einem Gerichte Deutschlands oder seiner Verbündeten. Die deutsche Regierung hat den alliierten und assoziierten Mächten oder derjenigen von ihnen, die sie darum ersuchen wird, alle Personen auszuliefern, die angeklagt sind, eine Handlung gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges begangen zu haben, und die ihr namentlich oder nach dem Rang, dem Amt oder der Beschäftigung in deutschen Diensten bezeichnet werden. Artikel 229. Sind die Handlungen gegen die Angehörigen nur einer der alliierten oder assoziierten Mächte begangen, so werden die Täter vor die Militärgerichte dieser Macht gestellt. Sind die Handlungen gegen Angehörige mehrerer der alliierten oder assoziierten Mächte begangen, so werden die Täter vor Militärgerichte gestellt, deren Mitglieder Militärgerichten der beteiligten Mächte angehören. In allen Fällen hat der Angeklagte das Recht, seinen Verteidiger selbst zu bestimmen. Artikel 230. Die deutsche Regierung verpflichtet sich, Urkunden und Auskünfte jeder Art zu liefern, deren Mitteilung zur vollständigen Kenntnis der den Gegenstand der Anklage bildenden Handlungen, der Ermittlung der Schuldigen und der genauen Abwägung der Verantwortlichkeit für erforderlich erachtet wird.
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Unter den Auszuliefernden befanden sich u.a. Kronprinz Rupprecht von Bayern, Admiral Franz von Hipper, etliche bayerische Generäle und Regimentskommandeure (110) . Daß die Niederlande sich weigerten, Wilhelm II. auszuliefern, ist allgemein bekannt und bedarf daher keines Quellennachweises. Der Rest der Strafbestimmungen erledigte sich wie folgt: Im Februar des Jahres 1920 übergaben die Siegermächte dem zuständigen deutschen Diplomaten Kurt von Lersner eine Liste von etwa 900 Deutschen, die ausgeliefert werden sollten. Kurt v. Lersner schickte das Auslieferungsbegehren zurück mit der Begründung, das deutsche Strafgesetzbuch verbiete die Auslieferung von Deutschen an ausländische Regierungen und kein Beamter, also auch er selbst nicht, dürfe bei einer solchen Auslieferung mitwirken. Gleichzeitig legte er sein Amt nieder und verließ Paris. Die Siegermächte bestanden anschließend nicht mehr auf ihrer Forderung. Darüber berichtet Lersner in dem Buch »Zehn Jahre Versailles« , I. Band, herausgegeben von Heinrich Schnee und Hans Draeger, Berlin, 1929, Seite 15 ff. (111) . Das in den Verträgen von St. Germain und Versailles auferlegte Verbot des Zusammenschlusses von Deutschösterreich mit dem Deutschen Reich war nach verbreiteter Meinung der gravierendste unter vielen anderen Verstößen gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker durch die Siegermächte und ein gravierender gegen die getroffene Vereinbarung über die Friedensbedingungen, die in dem Notenwechsel getroffen worden war, der dem Waffenstillstand vorausging. Beschlagnahme auch des privaten deutschen Auslandsvermögens ist geregelt in Artikel 297 b Versailler Vertrag. Er lautet: “Unter dem Vorbehalt entgegenstehender Bestimmungen, die sich aus dem gegenwärtigen Vertrage ergeben könnten, behalten sich die alliierten und assoziierten Mächte das Recht vor, alles Eigentum, alle Rechte und Interessen, die sich am Tage des Inkrafttretens des Vertrags auf deutsche Reichsangehörige beziehen oder auf von ihnen beaufsichtigte Gesellschaften, die auf ihrem Gebiet, in ihren Kolonien, Besitzungen und Schutzgebieten einschließlich der ihnen auf Grund des gegenwärtigen Vertrages abgetretenen Gebiete liegen, zurückzubehalten und zu liquidieren. Die Liquidation findet nach den Gesetzen des betreffenden alliierten oder assoziierten Staates statt. Der deutsche Eigentümer kann ohne die Einwilligung dieses Staates nicht über sein Eigentum, seine Rechte und Interessen verfügen, noch sie irgendwie belasten”.
Schlußbetrachtung In meiner Wissenschaft, der Medizin, gilt als strikte, unverzichtbare Notwendigkeit die Unterscheidung zwischen Befund und Interpretation. Ein durch Untersuchung ermittelter Sachverhalt ist das Eine, ihm eine Bedeutung zuzuordnen das Andere. Aus der Summe der Bedeutungszuordnungen ergibt sich die Diagnose. Voraussetzungen für deren Richtigkeit sind die Einhaltung der Unterscheidungsregel und die Folgerichtigkeit der Bedeutungs- zuordnungen, der Befundinterpretationen. Abweichungen von diesem Prinzip führen zumeist zu Fehldiagnosen. In einer dem jeweiligen Gegenstand der Betrachtung angepaßter Weise dürfte dieses heuristische Prinzip für die meisten, wenn nicht für alle Wissenschaften, mit Sicherheit für die Geschichtswissenschaft gelten. Für die Beurteilung von zurückliegenden Ereignissen und Handlungen ist es unbedingt erforderlich, bei der Interpretation eines Sachverhalts sich die seinerzeit gegebenen Umgebungsbedingungen und den damaligen Informationsstand handelnder Personen zu vergegenwärtigen und zur Grundlage einer nachträglichen Beurteilung zu machen. Bedingungen, die zum Zeitpunkt des Geschehens nicht vorlagen, dürfen ebensowenig in eine wertende Betrachtung einfließen wie Informationen, die dem Handelnden seinerzeit nicht zur Verfügung standen. Historische Heuristik verlangt die Sicht, den Blickwinkel des jeweiligen Zeitgenossen. Alles andere führt, weil man hinterher immer klüger ist, zu Fehlurteilen und nicht selten auch zu unangenehmer, störender Besserwisserei. Vielleicht fragt sich der eine oder andere Leser, was hat diesen Menschen, ich meine mich selbst, bloß bewegt, fast 100 Druckseiten mit Ausführungen über Versailles mit dem dahinter gesetzten Fragezeichen zu füllen ? Das um so mehr, wenn ich hinzufüge, daß ich eigentlich nur einen Leserbrief schreiben wollte. Nun, der Anlaß war auch ein Leserbrief, und zwar der eines Zeithistorikers. In dem fanden sich folgenden Aussagen: …………. . “Tatsächlich sind die verheerenden Auswirkungen von “Versailles" für die innere Entwicklung der Weimarer Republik nicht nur in den Friedensbedingungen zu suchen, sondern mehr noch in den Empfindungen, die dieser Frieden im deutschen Volke damals ausgelöst hat. Die Vertragsbedingungen waren hart. Doch ließen sie den Nationalstaat im Ganzen intakt und gewährten der deutschen Diplomatie - nicht zuletzt in wirtschaftlicher Hinsicht - auch mehr Spielraum, als dies die Zeitgenossen anerkennen wollten. Die Empörung, die dieser Frieden dennoch hinterließ, besaß ihre eigentlichen Wurzeln in der Weise, in der die meisten deutschen Zeitgenossen den Ausgang der militärischen Auseinandersetzung beurteilt hatten: in ihrem Glauben, aus diesem Krieg “militärisch unbesiegt" hervorgegangen zu sein”. ………. “Die den Deutschen präsentierten Vertragsbedingungen enthielten indessen keinen “amerikanischen" (Anm. d. Verf.: Wilson-) Frieden mehr, sie atmeten nicht den erhofften (Anm. d. Verf.: den völkerrechtlich verbindlich vereinbarten !!) Geist der Verständigung”. …………. . “Nur so ist das Lamento über den “Betrug" von Versailles ………….. zu verstehen, das die deutsche Rechte seitdem anstimmte. Als die übertölpelten Betrogenen aber wurden alle die deutschen Politiker der Mitte und der Linken verunglimpft, die in der Endphase des Krieges auf den amerikanischen Präsidenten gesetzt hatten. Dies ist die eigentliche Hypothek gewesen, die mit “Versailles" auf der ersten deutschen Republik gelastet hat”. (114) ------------------------------------ Ich habe mich bemüht, das damalige Geschehen mit einer Zusammenstellung von Fakten (Befunden) nachzuzeichnen, und ich habe mich dabei bemüht, mich selbst der Interpretation (der Diagnose) des Geschehens weitgehend zu enthalten. Eine gelegentliche, nicht unterdrückte “Anmerkung des Verfassers” möge der geschätzte Leser mir nachsehen und sich im übrigen seine eigene Meinung bilden, ob wirklich das Lamento der “Unbesiegten” die eigentliche Hypothek gewesen ist, die auf der ersten deutschen Republik gelastet hat.
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Quellen: (1) u.a. Versailler Vertrag Wilson 14 Punkte 8. Jan. 1918; Suchpfad: Google “Das Ultimatum der Entente” Seite 1 Adresse 7 = Wilsons 14 Punkte (8. Januar 1918) (Referat oder .....). http://www.studentshelp.de/p/referate/02/1655.htm (2) Deutsches Historisches Museum: Das 14-Punkte-Programm Des US-Präsidenten Woodrow Wilson vom 8. Januar http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/14punkte/ Der volle Text der Rede Wilsons vor dem Kongress findet sich in englischer Sprache unter http://wwi.lib.byu.edu/in php/President_Wilson%27s_Fourteen_Points (3) von Salis, J.R. in “Weltgeschichte der neuesten Zeit”, Band III S. 18 , Orell Füssli Verlag, Zürich 1960. (4) von Salis, J.R. , ebenda, Band 2, Seite 625-626. (5) Boemeke , Manfred F.: Woodrow Wilson's Image of Germany. In: Manfred Boemeke u.a. (Hrsg.): The Treaty of Versailles. A Reassessment after 75 Years. Cambridge University Press, Cambridge, S. 603–614, zit. nach Wikipedia: Woodrow Wilson; http://de.wikipedia.org/wiki/Woodrow_Wilson#cite_ref-4 (6) http://de.wikipedia.org/wiki/Woodrow_Wilson (7) Preußisches Allgemeines Landrecht von 1794, II 5 - Sklaverei, http://www.jura.uni-hannover.de/meder/?c=duncker/Sklaverei.php (8) Borchmeyer, Dieter: Das Volk der Dichter und Denker - sind wir das noch? Vortrag beim Verband Freier Berufe in Bayern am 19. Oktober 2005 http://www.freieberufe-bayern.de/service/oav10/artikel.asp?lnr=632 (9) Festschrift für Leo Kreutzer: Lesen. Lernen. Leben. Wie Literatur Wissen schafft (10) http://de.wikipedia.org/wiki/Dichter_und_Denker und http://de.wikipedia.org/wiki/Anne Louise_Germaine_de_Sta%C3%ABl (11) http://userpage.chemie.fu-berlin.de/diverse/bib/nobelpreise.html Suchpfad: Google Nobelpreise Seite 1 Adresse6 = Nobelpreise (Engl. Vers., Dtsch. Version) (12) Lutz, H.-R.: Himmlische Botschaft, Leserbrief in der FAZ vom 31.12.2004 (13) u.a. Wikipedia: Suchworte Reichstag, Deutsche Reichsgründung, Bismarcksche Reichsverfassung; Otto Zierer: Neue Weltgeschichte Band III, Seiten 270-287, Fackel Verlag Olten-Stutgart-Salzburg 1967; Bödecker, Ehrhardt: Ein Lehrpfad durch 500 Jahre brandenburgisch-preußischer Geschichte, S. 78, Brandenburg Preußen Museum Wustrau. (14) Congressional Record of the second Session of the 65th Congress of the United States of America Bd I.VI, S. 762 in “Der große Wendig” Band 1 Seite 216; zit nach Franz Uhle Wetter (Anm. d. Verf.: * 1927. Dr. phil, Historiker, Generalleutnant a.D. der Deutschen Bundeswehr): Bemerkungen zur deutschen Sicherheitspolitik in Hans Helmuth Knütter (Hsg), Europa ja – aber was wird aus Deutschland, Hohenhain, Tübingen 1998 S. 182 f; auch Franz Uhle-Wetter: Der Krieg, E.S. Mittler und Sohn, Hamburg-Berlin-Bonn 2001, S. 160. (15) Zierer, Otto: Neue Weltgeschichte Band III, Seite 416, Fackel Verlag Olten-Stutgart-Salzburg 1967; http://www.dhm.de/lemo/html/wk1/kriegsverlauf/kriegserklaerungen/index.html (16) Zierer, Otto: Neue Weltgeschichte Band III, Seite 424, Fackel Verlag Olten-Stutgart-Salzburg 1967; von Salis, J.R. in: “Weltgeschichte der neuesten Zeit”, Band II S. 688 , Orell Füssli Verlag, Zürich 1960; http://www.dhm.de/lemo/html/wk1/kriegsverlauf/kriegserklaerungen/index.html (17) Zierer, Otto: Neue Weltgeschichte Band III, Seite 428, Fackel Verlag Olten-Stutgart-Salzburg 1967; von Salis, J.R. in: “Weltgeschichte der neuesten Zeit”, Band II S. 718, Orell Füssli Verlag, Zürich 1960; http://www.dhm.de/lemo/html/wk1/kriegsverlauf/kriegserklaerungen/index.html (18) Zierer, Otto: Neue Weltgeschichte Band III, Seite 427, Fackel Verlag Olten-Stutgart-Salzburg 1967; von Salis, J.R. in: “Weltgeschichte der neuesten Zeit”, Band II S. 718, Orell Füssli Verlag, Zürich 1960; http://www.dhm.de/lemo/html/wk1/kriegsverlauf/kriegserklaerungen/index.html (19) Zierer, Otto: Neue Weltgeschichte Band III, Seite 428, Fackel Verlag Olten-Stutgart-Salzburg 1967; von Salis, J.R. in: “Weltgeschichte der neuesten Zeit”, Band II S. 717, Orell Füssli Verlag, Zürich 1960; (20) u.a. 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