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Ende Chefarzt

 

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Dr. Wolfgang Klein

Ende Chefarzt

 

Am 31. Juli 1993,  einen Tag nach meinem 65. Geburtstag, bin ich aus dem  Krankenhausdienst ausgeschieden. Vor wenigen Tagen fielen mir die  Mitschnitte zweier aus diesem Anlaß gehaltener Ansprachen in die Hände. Ich habe sie mit gewissem Erstaunen gelesen. Sie folgen nachstehend.

W. K. , Berlin, den 15. Juni 2011

Ansprache Prof. Dr. Krumhaar am 31.07.1993 anläßlich meines Ausscheidens

Lieber Herr Klein, liebe gnädige Frau, liebe Familie Klein, sehr verehrte Damen, meine Herren!

Als vor einigen Wochen aus Ihrem Urlaub ein Anruf bei mir landete, da schwante mir schon etwas. Herr Klein fing so an: Sie sind der dienstälteste Chefarzt, was ich bisher überhaupt nicht glaubte, weil ich mich immer noch für jung hielt. Bei näherem Nachrechnen kam heraus: Falls ich das nächste Jahr noch erlebe, sind es 20 Jahre als Chefarzt hier in Havelhöhe. Insofern haben Sie sicherlich recht. Ich komme dieser Aufforderung sogar in Ihrem Falle gerne nach, Herr Kollege Klein, einige Worte an Sie zu richten. Ich denke noch gerne an diese schöne Feier vor 5 Jahren. Da haben wir hier an dieser Stelle Ihren 60. gefeiert, und wenn ich mir die Bilder ansehe: Chefarzt Klein sieht genauso aus wie vor 5 Jahren. Da es nun jetzt hier mit Zahlen losgeht und ich ein mehrseitiges Lebenslaufmanuskript bekam, bin ich etwas überfordert, denn was Zahlen angeht, war ich immer schon schlecht. Ich muß also hier auf ein Manuskript zurückgreifen und will das so ein bißchen stichwortartig abhandeln:

Also, geboren am 30.07.1928, demnach sind Sie gestern 65 Jahre alt geworden, herzlichen Glückwunsch! Jetzt kommt der sozusagen Spandauer Werdegang: Besuch der Freiherr v. Stein Schule in Berlin-Spandau. Bereits als 15jähriger hatten Sie die Absicht Arzt zu werden. Sie waren vom Kriege arg gebeutelt. Mit 15 1/2 Jahren, da stelle man sich vor, wurde Herr Klein Luftwaffenhelfer, dann wurde er zum Reichsarbeitsdienst und später zur Wehrmacht eingezogen. All das mit 15 1/2 Jahren! Das sollen die jungen Leute heute einmal ruhig hören! Englische Kriegsgefangenschaft bis Juni 1945, da waren Sie auch noch keine 17! Anschließnd für kurze Zeit Land- und Forstarbeiter. Im Dezember 1945 Schulbesuch in Soltau in der Lüneburger Heide. Im Februar 1946 Rückkehr nach Berlin und erneuter Schulbesuch in der Freiherr v. Stein Schule in Spandau. Juni 1957 Abitur. Eins der fünf besten im Bezirk Spandau. Trotzdem kein Studienplatz wegen Numerus clausus.

Deshalb haben Sie lange Zeit gejobt und zwar 1947/48 ein Jahr lang als Krankenpflegeschüler und, wie Sie so schön schrieben, als Famulus im nullten Semester, das fand ich also besonders schön, im Städtischen Krankenhaus Spandau. Ihr erster Stationsarzt war Dr. Peplau, den ich hier gesehen habe und den ich recht herzlich begrüße. Unter der Ägide von Dr. Peplau machte Herr Klein als späterer Internist - man höre und staune - 1948 seine erste Appendektomie. Wörtliches Zitat KLEIN: "Der Chirurgie gehörte von Anfang an meine große Neigung". 1948/49 5 Monate Famulus auch wieder im nullten Semester in der Charite bei Prof. Brugsch. Im Sommersemester 1949 endlich dann der ersehnte Studienplatz an der FU Berlin. Staatsexamen Dezember 1955 mit Durchschnittsnote 1,4. Auch das halte ich für sehr bemerkenswert. Während des Studiums insgesamt 9 Monate Famulatur im Krankenhaus Spandau und einen Monat im Krankenhaus Moabit. Promotion in der Spandauer Chir. Abt. mit cum laude. Thema: Über Störungen der Darmfunktion bei Comotio cerebri. 1956/57 15 Monate Pflichtassistenzarzt in der Chirurgischen, der I. Inneren und Geburtshilflich-Gyn. Abteilung des Krankenhauses Spandau. Dann von 1957 bis 1961 4 Jahre und 3 Monate Assistenzarzt, davon 2 Jahre in der Pathologie bei Prof. Froboese und 2 Jahre/3 Monate in der Chirurgischen Abteilung Hohengatow, Chefarzt wiederum, neben Dr. Baukhage, dann Dr. Peplau. Wiederum wörtliches Zitat KLEIN: "Wechsel in die Innere Medizin wegen der schlechten Berufsaussichten für Chirurgen. Ich wollte eigentlich nie Internist werden und schon gar nicht Diabetologe." Man höre und staune! Ich habe nur zitiert! Sie blieben dann aber doch in der Inneren Abteilung hängen und waren 1961 - 64 2 Jahre und 9 Monate lang Assistenzarzt an der Inneren Abteilung Hohengatow bei Chefarzt Dr. Buding. Anschlieáend von 1964 - 1975 insgesamt 11 1/2 Jahre Oberarzt an dieser Abteilung und schließlich vom 01.01.1976 bis zum heutigen Tag - also 17 Jahre und 7 Monate - Chefarzt der Inneren Abteilung Hohengatow und später Havelhöhe. Ich habe einmal nachgerechnet, das war gar nicht mal so einfach, da benötigte man fast einen Rechenschieber, um die ganzen Spandauer Zeiten zu addieren - hoffentlich stimmt das Ergebnis. Sie müssen das evtl. nachrechnen. Die Gesamtzeit Ihrer Tätigkeit in Spandau umfaßt 38 Jahre und 1 Monat. Wiederum ein Zitat KLEIN: "Das schlimmste Ereignis war der unsinnige Umzug von Hohengatow nach Havelhöhe am 01.10.1982, der zur Zerstörung unserer blühenden räumlich wie med.-technisch bestens ausgerüsteten Inneren Abteilung in Hohengatow führte." Ihre wissenschaftliche Tätigkeit findet beredten Ausdruck in mehr als 50 wissenschaftlichen Publikationen und über 100 Vorträgen. Drei Ihrer Mitarbeiter erlangten unter Ihrer Ägide die Doktorwürde. Sie sind Mitglied zahlreicher med. Gesellschaften, ich zähle einige auf: Berliner med. Gesellschaft, Deutsche Gesellschaft für internistische Intensivmedizin, Deutsche Diabetesgesellschaft, Europäische Diabetesgesellschaft, Gründungs-mitglied der Norddeutschen  Diabetesgesellschaft.

So, der Mensch lebt aber nicht von Wissenschaft allein, es gibt ja auch noch die Familie. Auf die möchte ich jetzt auch noch einmal kurz eingehen. Die Eheschließung war 1958 vor nunmehr also über 35 Jahren. Sie haben 3 Töchter. Und das interessante ist, davon sind 2 Dipl. Ing. Agr. und beide haben Diplomingenieure geheiratet, das finde ich sehr bemerkenswert, während eine Tochter noch Studentin der Geowissenschaften ist und Herr Klein hatte in seinem Lebenslauf geschrieben, der Enkel befindet sich in Statu nascendi. Das stimmt nun nicht mehr, der Enkel ist inzwischen geboren worden, wie Sie gnädige Frau mir sagten, Sie sind also, jetzt wird's ernst, Sie sind Opa! Und damit kommen natürlich ganz besondere Aufgaben auf Sie zu. Neben Ihrer lieben Frau und der Familie ist die Musik Ihre große Liebe und Leidenschaft. Sie erhielten bereits im 6. Lebensjahr Violinenunterricht, den Sie bis 1958 fortsetzten. Ihre Kammermusikkonzerte sind bekannt und werden kompetent von Patienten aus dem Kreise der Berliner Philarmoniker und des Radiosymphonieorchesters Berlin unterstützt und gefördert und wie ich gehört habe, spielen heute nachher noch Kammermusiker des Radiosymphonie-orchesters für uns. Sicher werden Sie das noch selbst im einzelnen ansagen.

Auch Ihre staatsbürgerlichen Pflichten haben Sie ernster genommen als so manch einer. Sie waren 1958 - 61 Vorstandsmitglied im Bund der Berliner Assistenzärzte, Landesverband Berlin des Marburger Bundes. Sie waren maßgeblich beteiligt an der Ausarbeitung der Regelung der Arbeitszeit, der Bezahlung von Bereitschaftsdiensten, Einführung eines bezahlten Rufbereitschaftsdienstes, Dinge die heute selbstverständlich sind, da redet keiner mehr drüber. Deshalb muß man einmal darauf hinweisen: Sie waren einer der Pioniere, die das durchgeboxt haben. Außerdem sind sie im Bezirk Spandau für die CDU, der sie 1956 beitraten, aktiv kommunalpolitisch tätig gewesen und - ich glaube auch noch jetzt tätig. Dies wäre die eine Seite, das ist der Lebenslauf, so wie ich ihn bekommen habe, den ich etwas umfrisiert und umgearbeitet habe. Jetzt kommt die andere Medaille.

Er kann ja hier nicht ganz ungeschoren davonkommen. Ich habe natürlich auch die Mitarbeiter befragt, wie war denn der Chef? Jede Münze hat zwei Seiten. Und jede Medaille auch. Ich dachte mir, jetzt mußt du doch einmal die Mitarbeiter fragen: Er wird als typischer Preuße charakterisiert. Pflichtbewußt, pünktlich und korrekt. Dienstantritt in der Klinik vor 7.00 Uhr - morgens ! Die Besprechungen begannen stets pünktlich. Alle Mitarbeiter hatten anwesend zu sein, erst dann wurde begonnen. Der Ablauf der Visiten war preußisch streng geregelt. Der Stationsarzt hatte in exakter chronologischer Folge alle Erkrankungen, frühere Krankenhausaufenthalte usw. bei der Chefvisite vorzutragen. Dabei hatte totale Ruhe im Patientenzimmer zu herrschen. Herrschte Unruhe, so konnte der gestrenge Chef auch einmal die Beherrschung verlieren - er begründete dann seine Forderung nach Ruhe so: "Ich sage das, damit Sie mich korrigieren können, wenn ich etwas falsches sage." Das war natürlich ganz raffiniert! Während der Chefvisite sagte er oft zu Schwestern und Diätassistentinnen: "Ante portas" oder auch "extra muros." Hatten die nichtärztlichen Mitarbeiter ihrem Chef etwas mitzuteilen, was der Patient nicht hören sollte, so sagten sie "extra uris". Trotz preußsch strengen Visitenablaufs fand er jedoch Zeit, als Lehrer am Krankenbett den jungen Ärzten durch kleine Stories die Krankheitsbilder lebendiger darzustellen. Die Chefvisite ging dann auf dem Gang weiter - alles wurde detailliert diktiert und schriftlich festgelegt. Wir haben ja schon gehört, daß Sie die Diabetologie eigentlich gar nicht wollten. Trotzdem war dies der große Schwerpunkt Ihrer Abteilung und hierzu hatte der Chef eine sog. Checkliste für Diabetiker entworfen, in der sein eigener Kampf mit dem Gewicht seinen Niederschlag fand. So sind Meßgrößen wie Taillenumfang, größte Breite des Hüftumfangs und die sog. WHR, die waist to hip ratio, wichtige Bestandteile dieser Diabetes-Checkliste. Sein eigener Kampf mit dem Normalgewicht wurde durch die Ehefrau mit einer Apfeldiät in Form kleiner Apfelstücke unterstützt. Und diese Apfelstückchen aß er ganz demonstrativ bei Chefarztbesprechungen, diese Bemühungen wurden jedoch boykottiert und zwar des öfteren durch attraktive Küchenangebote auf der Station und natürlich auch durch die dienstliche Notwendigkeit, die Diäten persönlich zu verkosten. Dieser ständige Kampf, sozusagen mit sich selbst, fand auch bei Chefarztvisiten Erwähnung, wenn er übergewichtige Patienten vorfand und diese zur Reduktion auf Normalgewicht animieren wollte. Dann sagte er immer den Beisatz: "Ich weiß, wovon ich rede!" Lieber Herr Klein - zum typisch preußischen Arbeitsstil gehörte natürlich auch das pünktliche Abgeben der korrekt geführten Krankenblätter und Entlassungsbriefe. Ich habe Mitarbeiter gefragt: Jetzt machen sie mal so ein zusammenfassendes Urteil üer ihren Chef; ich zitiere wörtlich: "sehr gewissenhaft, sehr ordnungsliebend, sehr korrekt." Bewundernd hervorgehoben wurde von Ihren Mitarbeitern ihr phänomenales Gedächtnis - so konnten Sie sich oft noch nach 5 Jahren erinnern, in welchem Bett der spezielle Patient bei Voraufenthalt gelegen hatte. Das ist in der Tat bewundernswert.

Lieber Herr Klein - wenn ich jetzt zum Schluß mal einige eigene Erfahrungen schildern darf: Als Sie im Oktober 1982 nach Havelhöhe kamen, war vorher ein Gespräch mit dem damaligen Ärztlichen Leiter des Inhalts: Also Herr Krumhaar, ich kann sie nur bedauern! Warum? Ja da kommt ja ein ganz schwieriger Mensch auf sie zu! Ich sage, wer? Na der Chefarzt Klein, wissen sie das nicht? Ich antworte: Mir sei nichts einschlägiges bekannt. Ich wurde also vorgewarnt. Ich muß alles in allem sagen, diese 11 Jahre der kollegialen Zusammenarbeit mit Ihnen möchte ich nicht missen! Sie waren äußerst engagiert, nicht nur für Ihre eigene Abteilung! Auch für den örtl. Bereich Havelhöhe, wenn es um die Durchsetzung Havelhöer Interessen ging. Das ging sogar so weit, daß wir als Südstaatler beschimpft wurden, obwohl, ich meine Südstaaten, Nordstaaten, man kennt ja die früheren Differenzen, es ist sicher eine Spur Wahrheit dran. Aber, ich muß sagen, Sie haben damals vieles durchgeboxt, was man sonst nicht hätte durchboxen können und vielleicht auch in Zukunft nicht mehr durchboxen können wird. Sie fielen mir immer auf durch ein sehr ausgeprägtes Rechtsempfinden und auch durch ein rechtliches Durchsetzungsvermögen. Anfangs dachte ich, der Herr Klein übertreibt aber in manchen Dingen. Je älter ich werde muß ich aber sagen, wie oft hatten Sie recht und Sie haben dieses Recht auch offiziell vertreten und durchgesetzt! Auf der Einladung hat Ihre Frau Gemahlin eine sehr schöne Zeichnung gemacht. Frauen könen ja genial sein. Dieses Bild zeigt eigentlich alles: Der Chefarzt Klein als Chirurg, denn welcher Internist trägt ein Mundtuch, als Chirurg und Violinenspieler. In dem Bild steckt sozusagen alles drin, alle Neigungen und Interessen unseres Chefarztes Klein, und wenn ich einmal zusammenfassen darf aus meiner Sicht ist Herr Klein die ganze Zeit über, in der ich ihn kannte, ein Multitalent gewesen. Er ist als sehr guter Arzt aufgefallen, gleichzeitig als sehr guter Jurist. In ihm ist ein gestandener Jurist verloren gegangen. Wenn ich manchmal von Juristen ausweichende Antworten erhalten habe, habe ich von ihm sehr präzise Auskünfte bekommen. Und, wie ich schon sagte, ein sehr guter Violinist. Was mich besonders erstaunte, Herr Klein fing an, als er so um die 60 war, sich mit Computern zu beschäftigen. Geradezu faszinierend. Herr Klein sitzt am Computer, Lampen leuchten auf und Zahlen kommen auf den Bildschirm oder auch Textbögen kommen aus dem Drucker. Ich bin immer fasziniert gewesen, also auch als Computerfachmann haben Sie Ihren Mann gestanden. Superpreuße, war schon erwähnt. Und auch ein guter Pater familiae, und ich glaube,in dieser Funktion kommen jetzt völlig neue Aufgaben auf Sie zu. Also der muß natürlich auch Violinist werden, der Jüngste, jetzt geborene. Und wenn ich noch etwas sagen darf: Sie waren immer hilfsbereit - als Chef hat man manchmal Probleme und fragt einmal einen anderen. Manche wollen sich dann nicht engagieren und geben nicht die Auskunft, die man gern hätte. Herr Klein hat mich immer bestens beraten und die kollegiale Zusammenarbeit mit ihm war denkbar gut über einen Zeitraum von 11 Jahren. Eine kleine Story - es ist geradezu drollig: Wir sind in Havelhöhe ein vierblättriges Kleeblatt gewesen: KIECKER, KLEIN, KREUTZBERG, KRUMHAAR - viermal K - vier Blätter. Nun ist dieses Kleeblatt arg gerupft. KIECKER ist weg, KLEIN ist weg. Nun kommt aber wieder ein drittes Kleeblatt hinzu, nämlich der Prof. Kemmer aus Düsseldorf, den ich hier recht herzlich begrüße - auch als Nachfolger von Herrn Klein. Er ist das dritte Kleeblatt, vielleicht kommt irgendwann ein viertes hinzu. Zunächst müssen wir als dreiblättriges Kleeblatt leben und ich hoffe auf eine gute Zusammenarbeit. Ihnen Herr Klein, meinen allerherzlichsten Dank für 11 Jahre Zusammenarbeit in Havelhöhe!

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Ansprache Chefarzt Dr. W. Klein anläßlich seines Ausscheidens am 31.07.1993 im Gemeindezentrum des Örtlichen Bereichs Havelhöhe des Krankenhauses Berlin- Spandau

Meine Damen und Herren! Die Zeiten meiner Täigkeit hat Herr Kollege Krumhaar bereits aufgeführt. Ich brauche sie nicht zu wiederholen. Aus ihnen ergibt sich natürlich unschwer, daß man in so vielen Jahren schon einiges erlebt hat, was zu formulieren den heutigen Rahmen bei weitem sprengen würde, weshalb ich mich auf einige wenige Punkte beschränken möchte.

Wenn ich richtig informiert bin, hat mein Vorgänger, Herr Kollege Buding, die Leitung der Abteilung im Jahre 1949 übernommen. Ich bin ihm am 01.01.1976 nach langer Oberarzttätigkeit an eben dieser Abteilung als sogenannter Chefarzt nachgefolgt. Das ist eine besondere Situation. Ich hatte unter Belassung aller wesentlichen Organisationsstrukturen und in genauer Kenntnis derselben die Möglichkeit, einfach durchzustarten. Das ist in vieler Beziehung eine besondere - und wie ich meine - eine glückliche Sache: Wir haben uns bemüht, Vorhandenes nicht nur zu erhalten, sondern weiterzuentwickeln und in angemessenem Umfang Innovation hinzuzufügen. Das Ergebnis ist ein Zeitraum von 44 Jahren der Kontinuität für diese Abteilung und ich sage noch einmal: Ich halte das für einen Glücksfall. Kontinuität, ungestörte Entwicklung ist Voraussetzung für das Gedeihen einer Klinik, einer Krankenhausabteilung, eines Krankenhauses.

Aufgrund einschlägiger Erfahrungen kann man denken, daß dieser Sachverhalt Planern, Politikern und ähnlichen Menschen offenbar unbekannt ist. Man hat gelegentlich den Eindruck, daß Planer im Gesundheitswesen herumfuhrwerken - sie machen Gesundheitsreformen - schon die Vokabel stimmt nicht! Man kann die Gesundheit nicht reformieren; und noch etwas anderes: reformare heißt eigentlich, "die alte Gestalt wieder herstellen." Martin Luther, der hat reformiert!! Reformieren könnte man das Gesundheitswesen, und das müßte man auch dringend! Aber ich denke, um eine Reform des Gesundheitswesens handelt es sich bei der Gesundheitsreform gerade nicht ! -- Diese Planer, so hat man den Eindruck, fuhrwerken wie mit Vorschlaghämmern in einem Uhrwerk herum, ohne zu bemerken, daß sie sich in einem Uhrwerk befinden und damit fehlt natürlich jede Mölichkeit, die Unzweckmäßigkeit der Vorgehensweise zu erkennen. Ich muß das schon sagen  . So war die Schließung von Hohengatow als Akutkrankenhaus und der sich hieraus ergebende Umzug nach Havelhöhe in jeder Beziehung - ja, was sage ich denn nun? - also am liebsten sage ich: Unfug! Schlicht und einfach Unfug! In jeder Beziehung! Für mich war es einer der schlimmsten Vorgänge in meinem ganzen Berufsleben! Hinzu kamen weitere und sonstige Wechselbäder der Krankenhausplanung in Berlin, ungemein störend, weil immer wieder Kräfte bindend, die eigentlich ganz woanders hätten eingesetzt werden müssen! Wir haben uns nach diesem Umzug mindestens ein Jahrfünft hindurch hier in Havelhöhe nur mit Erhaltung der Substanz beschäftigen müssen, ohne daß uns das in vollem Umfang gelungen wäre. Wir haben an unserer Abteilung Verluste erlitten, die nie wieder ausgeglichen worden sind.

Nun, ich habe mir lange überlegt, wie ich das heute und hier mache und habe folgenden Weg gefunden: Ich werde einfach als Kommentar andere Leute zitieren!

Zitat 1:

"Wir übten mit aller Macht! Aber immer, wenn wir begannen  zusammengeschweißt zu werden, wurden wir umorganisiert. Ich habe später im Leben gelernt, daß wir oft versuchen, neuen Verhätnissen durch Umorganisation zu begegnen. Es ist eine phantastische Methode. Sie erzeugt die Illusion des Fortschritts, wobei sie gleichzeitig Verwirrung schafft, die Effektivität mindert und demoralisierend wirkt." Nun müssen Sie nicht denken, daß dies etwa ein moderner Management-Trainer gesagt hat. Nein, der Autor ist Gaius Petronius, ein Römischer Feldherr, etwa 80 n. Chr. Sehen Sie, so lange ist der Unfug schon bekannt, und er wurde immer wieder gemacht und wird weiter gemacht werden.

Doch damit nicht genug. Wir haben in den letzten 10 Jahren in zunehmendem Maße Eingriffe in die ärztliche Entscheidungsfreiheit zu beobachten, obwohl diese für alle Ärzte vom Deutschen Gesetzgeber mit der Bundesärzteordnung ausdrücklich gefordert wird und sichergestellt werden sollte. Man muß die Sicherstellung im Konjunktiv formulieren, weil tatsächlich die ärztliche Entscheidungsfreiheit in zunehmendem Maße nicht mehr gegeben ist. Wir werden immer öfter und immer unverfrorener vom hippokratischen Grundsatz des "salus aegroti suprema lex" abgedrängt, begegnen in für uns entscheidenden Schlüsselpositionen in zunehmendem Maße Leuten, die sich den Satz, den ich da eben zitiert habe, übersetzen lassen müssen. Dies ist - ich bitte, mir das zu glauben - kein Bildungshochmut des hier jetzt Referierenden, sondern Ausdruck der Sorge darüber, daß in unserem Lande - und davon macht das Krankenhaus Spandau keine Ausnahme - sich zunehmend Leute ohne jegliche Hemmungen an Dinge heranwagen, ja geradezu herandrängen, denen sie nach Befähigung und Ausbildung erkennbar nicht gewachsen sind und nicht gewachsen sein können. Die Ursachen dieses Zustandes, dieses weit verbreiteten Zustandes, will ich nun wieder mit Zitaten versuchen darzustellen. Man könnte dazu eine Fülle alter und neuer Zitate heranziehen, die wiederum den heutigen Rahmen bei weitem sprengen würde.

Zitat 2:

"Zwei Dinge sind unendlich: Das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum ist das noch nicht ganz sicher!" Albert Einstein, 1879 - 1954.

Zitat 3:

"Der Mangel an Urteilskraft ist eigentlich das, was man Dummheit nennt und einem solchen Gebrechen ist gar nicht abzuhelfen." Immanuel Kant, 1724 - 1804.

Zitat 4:

"Der Jammer mit der Menschheit ist, daß die Narren so selbstsicher und die Gescheiten so voller Zweifel sind."

Bertrand Russel, 1872 - 1970.

Und nun ein Zeitgenosse:

"Zu den bedeutendsten Aufgaben des modernen Personalmanagements gehört die Förderung der Leistungsbereitschaft, des unternehmerischen Geistes und der Selbstverwirklichung am Arbeitsplatz durch individuelle Herausforderung, Gewährung persönlicher Freiräume und Dialogbereitschaft." Paul Seemann, Geschäftsführer eines großen deutschen Unternehmens. Die Erfüllung dieser Forderung - ich glaube man braucht das nicht zu kommentieren - liegt absolut im Argen, absolut!

Und noch ein Zeitgenosse:

"Der eitle Manager ist leicht verletztlich. Schon eine nach seiner Meinung unzureichende Beachtung irritiert ihn maßlos. Mißerfolg fürchtet er übersteigert. Tritt dieser einmal ein, so wird er alles tun, um sein Gesicht nicht zu verlieren bis hin zur unkorrekten Darstellung der Geschehnisse." Reinhard Mohn, Vorsitzender des Aufsichtsrates eines großen deutschen Unternehmens. Bei der Aussage von Herrn Mohn kommen mir etliche einschlägige Erlebnisse in den Sinn und ich nehme an, vielen unter Ihnen wird es genauso gehen. Es ist Gepflogenheit, bei solcher Gelegenheit festzustellen, daß etwa entstehende Ähnlichkeiten selbstverständlich rein zufällig sind.

Ein letztes Zitat:

"Unrecht tut nicht nur derjenige, der etwas tut, was Unrecht ist, sondern oft auch derjenige, der etwas unterläßt, was eigentlich hätte getan werden müssen!" Marc Aurel, 121 - 180 n. Chr.

 

Sie sehen, auch dieser uns allen geläufige Sachverhalt ist überhaupt und gar nichts Neues, aber es geht immer so weiter. Wir werden uns eine ganze Menge Unrecht im Sinne Marc Aurels selbst anlasten müssen, meine Damen und Herren, ich denke schon, trotz aller Bemühungen.

Und nun zum nächsten Punkt, der sich jetzt quasi wie selbstverständlich anschließen kann: Ich bin in letzter Zeit oft gefragt worden, ob mir denn der Abschied von meiner Chefarzttätigkeit nicht schwer fiele. Die Antwort ergibt sich vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Lage der Deutschen Krankenhäuser, des Gesundheitswesens allgemein und des Krankenhauses Spandau im besonderen fast von selbst. Sie lautet: Ich bin eigentlich nicht Arzt geworden, um mich mit unbelehrbaren Besserwissern herumzuärgern und bei dieser Art der mir aufgezwungenen Beschäftigung ist ein kritischer Schwellenwert seit langem überschritten. Daß dies nun ein natürliches Ende findet, macht mir den Abschied ausgesprochen leicht.

Es wäre aber unvollständig, ungerecht, undankbar, nicht noch einen ganz anderen, vielleicht sogar den wichtigsten Aspekt anzusprechen:

Viele sind mir begegnet, aus allen Bereichen, aus allen Gruppen von Beschäftigten eines Krankenhauses, von den Pförtnern über die Hauskolonne, die Verwaltung, die Schwesternschaft, die Angehörigen der verschiedenen medizinischen Berufe bis hin zu meinen Chefarztkollegen - viele sind mir begegnet, die kollegial, kooperativ, leistungswillig, hilfsbereit, loyal, menschlich aufgeschlossen, korrekt, charakterfest, zuverlässig und standhaft, der gemeinsamen Aufgabe des Dienstes an den Kranken verbunden, mir zur Seite gestanden haben und mir behilflich waren bei der Bewältigung der Pflichten und bei der Abwehr der Niedertracht. Ihnen allen gilt mein Dank. Wen ich ungerecht behandelt habe, den bitte ich um seine Verzeihung. Wer ein verdientes Lob nicht erhalten hat, möge es mir nachsehen.

Ich habe in den letzten Tagen eine solche Fülle von Äußerungen über die unter meiner Fuchtel abgediente Assistenzarztzeit gehört, daß ich es mir nicht verkneifen kann, diese kleine Eitelkeit von mir zu geben: Einer meiner früheren Mitarbeiter hat es so formuliert: "Ich habe nach Ihnen nichts Entscheidendes mehr gelernt." Auch dafür bin ich natürlich sehr, sehr dankbar. Daß meine Bemühungen so eingeschätzt werden, erfüllt mich mit einer gewissen Zufriedenheit.

Ich wünsche der Inneren Abteilung Havelhöhe und meinem Nachfolger ein gutes Gelingen, Erfolg und eine gesicherte Zukunft. Diese ist nicht zu trennen vom Gesamtkrankenhaus. Ich wünsche meinen Chefarztkollegen Erfolg bei der Bewahrung ihrer ärztlichen Freiheit, und ich kommentiere noch einmal abschließend mit Zitaten:

"Der Kampf gegen die unabänderliche und überwältigende Majorität der Dummen und derer, die diese als Instrument benutzen, ist in der Tat ein harter und wenig aussichtsvoller. Aber notwendig ist dieser Kampf, denn ohne ihn wäre es noch schlechter um die Menschen bestellt. Auch ist dieser Kampf geeignet, diejenigen einander näherzubringen, die der natürlichen Elite angehören." Albert Einstein, 1879 - 1955.

"Wenn die Guten nicht kämpfen, siegen die Schlechten," und das ist der älteste von denen, die ich heute zitiert habe, nämlich Plato, 428 bis wahrscheinlich 348 vor Chr.

Sie sehen, meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal - so alt ist die Einschätzung dessen, was wir seit mehr als 2000 Jahren offensichtlich unverändert fortsetzen. Mögen Sie sich alle im Sinne Einsteins näherkommen und seien Sie erfolgreich bei der Verfechtung unseres gemeinsamen Anliegens und ich zitiere abschließend einmal mich selbst. Ich habe vor vielen Jahren so einen Einfall gehabt und ihn schnell aufgeschrieben:

"Ich wünsche mir ein Krankenhaus, in dem die Verwaltung sich selbst auf die letzten Seiten des Telefonverzeichnisses setzt." Ich habe die Erfüllung dieses Wunsches nicht erlebt. Möge er Ihnen erfüllt werden.

Nachtrag im Anschluß an den 2. Satz aus dem Sextett für 2 Klarinetten, 2 Hörner und 2 Fagotte von L. van Beethoven:

Meine Damen und Herren!

Ich habe etwas vergessen. Man könte natürlich das Folgende gewissermaßen als Sonderansprache deklarieren und das Vergessen verheimlichen. Aber das ist nie meine Art gewesen. Preußisch - Herr Kollege Krumhaar hat ausgeführt, daß mir diese Eigenschaft zugemessen wird - sage ich die Wahrheit: Ich habe meine Frau vergessen!

Bei der Gelegenheit der Danksagung an die vielen Mitarbeiter und Kollegen möchte ich auch ihr Dank sagen dafür, daß sie mich all die Jahre hindurch ertragen hat. Es ist ja so! Eine kleine Episode, ich hatte sie schon gar nicht mehr in Erinnerung, mag das verdeutlichen: Vor vielen Jahren bin ich einmal nach Hause gekommen und war dann sogleich ein wenig ungehalten, als etwas nicht so war, wie ich meinte, daß es hätte sein sollen und ein wenig vorwurfsvoll von meiner Frau angeguckt soll ich dann gesagt haben: "Weißt Du, es hat eben gerade noch bis zur Haustür gereicht."

 

Manche Leute, die mich nicht so lange kennen, hielten mich ja für einen ruhigen und ausgeglichenen Menschen. Das bin ich natürlich nicht. Alles, was ruhig und ausgeglichen an mir erscheinen könnte, ist das Ergebnis eines mühsamen Selbsterziehungsprozesses. Also: ich möchte meiner Frau ausdrücklich danken dafür, daß sie mich so lange so ertragen hat und natürlich auch den Kindern. Ein bißchen was haben die auch abbekommen von all diesen Dingen, die einen so belasten. Ein positiver Aspekt, der mir so in den letzten drei bis vier Wochen bewußt geworden ist, ist der: Ich merke, wie der Druck einer lebenslangen Rufbereitschaft allmählich nachläßt und ich habe nie gewußt, wie stark dieser Druck ist. Das merke ich erst jetzt, wo er nachläßt und wahrscheinlich in Kürze, spätestens morgen, weg sein wird! Somit hat meine arme Frau auch noch positive Aspekte vor sich, nicht wahr?: Mann ohne Druck, na !!!

 

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