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15 Jahre und 165 Tage

Dr. Wolfgang Klein


 

15 Jahre und 165 Tage

Mein Enkel Bernhard (* 1993) hatte mich bei einem Telefonat stark zweifelnd gefragt, ob ich denn noch wüßte, was ich im Alter von 15 Jahren gemacht hätte. Ich habe seine Frage bejaht. Der folgende Brief zum Heiligen Abend 2008 ist die weiterführende Antwort.

Lieber Berni,

am heutigen Heiligabend, dem 24.12.2008 bist Du 15 Jahre und 165 Tage alt, wenn man folgende Voraussetzungen als gegeben ansieht:

Das Licht der Welt hast Du am 12. Juli 1993 erblickt, und zwar um 15.22 Uhr. Das bedeutet, daß der größere Teil des 12. Juli 1993 noch Deinem "Vor"-leben im Mutterleibe zuzurechnen ist und demnach gemäß mathematischer Rundungs- gepflogenheiten der kleinere Teil nach Deiner Geburt quasi "unter den Tisch fällt". Anders ausgedrückt: Du hast am 12. Juli 1993 weniger als 12 Stunden in dieser Welt gelebt. Mithin ist Dein erster voller Lebenstag der 13. Juli 1993. Bei dieser und der folgenden Berechnung habe ich 365 Tage pro Jahr zu Grunde gelegt und den jeweils zusätzlichen Tag enthaltener Schaltjahre nicht berücksichtigt. 

Wozu so seltsam erscheinende Erwägungen gut sind? Zum Beispiel, um Vergleichbarkeit zu erzeugen; in diesem Falle Vergleichbarkeit von Lebensaltern.

Ich, zum Beispiel, habe am 30. Juli 1928 das Licht der Welt erblickt, und zwar gegen 10.00 Uhr. Das bedeutet, daß nach den gleichen mathematischen Rundungsgepflogenheiten der kleinere, vor meiner Geburt liegende Teil des 30. Juli 1928 "unter den Tisch fällt", mithin der größere Teil desselben mir als mein erster ganzer Lebenstag zuzurechnen ist. Daraus ergibt sich: Ich war am 10. Januar 1944 wie Du am 24. Dezember 2008  fünfzehn Jahre und 165 Tage alt.

Meine Mutter und ich hielten uns damals in Kalisch im Wartheland auf. Kalisch, jetzt polnisch Kalisz, erstmals um 150 n. Chr. als wahrscheinlich germanische Siedlung erwähnt, von 1793 bis 1807 zu Preußen gehörend, z. Zt. um 100.000 Einwohner, 1944 sicher etwas weniger, liegt etwa 110 km westlich von Lodz an der Eisenbahnstrecke Berlin - Warschau. Das Gebiet um Kalisch wurde 1939 nach der Kapitulation Polens zusammen mit der 1919 dem Deutschen Reich durch den Versailler “Vertrag” genommenen Provinz Posen von Deutschland in Besitz genommen. Vom äußeren Erscheinungsbild war Kalisch eine deutsch geprägte Stadt. Wir wohnten auf einem kleinen Gut des Barons P. von Ungern-Sternberg am Rande der Stadt. Die Ungern-Sternbergs waren eine alte deutsch-baltische Adelsfamilie, die sich in der sogenannten Oktoberrevolution als militärische Führer gegen die Bolschewisten sehr hervorgetan und demzufolge nichts Gutes zu erwarten hatte, nachdem die Sowjetunion nach dem Polenfeldzug Deutschlands mit dessen Billigung die drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland annektierte. Sie wurden deshalb aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit der Sowjetunion mit vielen anderen Deutsch-Balten “heim ins Reich” geholt und im Wartheland angesiedelt. Wir waren im September 1943 im Zuge der Evakuierung Berlins, die wegen der zunehmend schwereren und zunehmend häufigeren Luftangriffe erfolgte, dorthin verschlagen worden. Ich begann dort an der Oberst-Mölders-Schule mein 5. Oberschul- = Gymnasialschuljahr. Der geordnete Schulunterricht und die nicht durch “Fliegeralarm” gestörten Nächte waren wohltuend. Zuvor mußten wir in Berlin oft 3 mal, nachts durch das Geheul der Alarmsirenen geweckt, aufstehen und in Eile die sogenannten Luftschutzräume in den Kellern der Wohnhäuser aufsuchen. Das war schon eine Strafe. Und der Schulunterricht war es auch. Im Sommer 1940 war nämlich die Spandauer Knabenmittelschule, deren Gebäude unmittelbar neben “meiner” Freiherr-vom-Stein-Oberschule für Jungen lag (beide Schulen hatten einen gemeinsamen Schulhof), durch einen Bombentreffer zerstört worden. Von da an mußten sich beide Schulen das Gebäude der Freiherr-vom-Stein-Schule teilen. Das wurde so bewerkstelligt, daß eine Schule vormittags, die andere nachmittags, mit wöchentlichem Wechsel der Reihenfolge, Unterricht hatte.

Die Oberst-Mölders-Schule in Kalisch war eine relativ kleine Schule. Deshalb gab es keine Trennung in Klassen für Jungen und Klassen für Mädchen, was zur damaligen Zeit sonst in Deutschland überwiegend üblich war. Wahrscheinlich auch dadurch behielten in damaliger Zeit Jungen und Mädchen länger mehr Hemmungen voreinander, was für ein bestimmtes Alter als durchaus positiv anzusehen war. Zwar wurde in früheren Jahren meine Grundschulklasse mehmals für je 6 Wochen aufgeteilt, weil der Lehrer ins Manöver mußte. Ich kam dann mit einigen Jungen in eine Mädchenklasse. Bei solcher Gelegenheit habe ich auch einmal in meiner Funktion als Pausenaufpasser Deine Großtante Renate wegen ungebührlichen Betragens “angeschrieben” (an die Tafel), was sie mir zuletzt am 60. Geburtstag Deiner Omi vorgehalten hat. Dennoch war die “gemischte” Klasse an der Oberst-Mölders-Schule in Kalisch eine neue Erfahrung für mich. Meine Klassenkameraden und Klassenkameradinnen waren überwiegend Baltendeutsche. Auch einige Ukrainer gab es in der Klasse. Das Deutsche Reich hatte bereits 1941 nach der Eroberung der Ukraine im Rußlandfeldzug dieser eine gewisse staatliche Unabhängigkeit wiedergegeben. Im Raum Kalisch lebende Ukrainer konnten ihre Kinder auf deutsche Schulen schicken. Sogenannte Reichsdeutsche wie ich waren eine kleine Minderheit. Diese Zusammensetzung der Klasse hat für die Gemeinschaft überhaupt keine Rolle gespielt. Alle verstanden sich und gingen kameradschaftlich miteinander um. Überhaupt keine Rolle spielte das, was man Politik nennt.

Mein Vater wurde etwa Mitte 1943 zu Wehrmacht eingezogen und so als Vierzigjähriger noch Rekrut, denn für den ersten Weltkrieg war er zu jung gewesen. Alt genug geworden fehlte dann nach diesem die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland. Über Weihnachten 1943 und den anschließenden Jahreswechsel hatte er Urlaub und kam zu uns nach Kalisch. Seine Einheit lag zu dieser Zeit in Kamenez-Podolsk (Ukraine). Zwischen Weihnachten und Silvester fuhren meine Eltern mit mir nach Berlin, um nach unserer Wohnung zu sehen. Das Haus stand noch. Die Fensterscheiben waren alle durch Druckwellen von Bomben zerstört. Unsere Nachbarn hatten die Scherben beseitigt und die Fensterrahmen notdürftig mit vorgenagelter Pappe verschlossen. Lediglich in meinem Kinderzimmer waren die Scheiben unbeschädigt, weil ich einen Federmechanismus eingebaut hatte, der die Fensterflügel bei geöffneten Riegeln geschlossen hielt und bei durch Bombenexplosionen verursachten Druckwellen nachgab. In den anderen Zimmern hatte ich das vor  Beginn  der Evakuierung Berlins nicht mehr geschafft. Mein Vater hat seine Wohnung bei diesem Berlinbesuch im Dezember 1943 zum letzten Mal gesehen und ich ihn bei diesem Urlaub zum vorletzten Mal.

Was hat das alles mit dem 10. Januar 1944 zu tun?

Wie Du der beigefügten Ablichtung der Urkunde der 2. Batterie der Flakscheinwerferabteilung 370 entnehmen kannst, habe ich von diesem Tag an als sogenannter Luftwaffenhelfer der deutschen Luftwaffenflak angehört. Die Einberufung war mein Weihnachtsgeschenk 1943 ! Ein Zwischenergebnis sei vorweg genommen: An diesem 10. Januar 1944 waren meine Kindheit und Jugend zu Ende!! Von diesem Tage an mußte ich – ob ich wollte oder nicht, ob es mir paßte oder nicht -  Erwachsener sein. Aus der de facto-Zugehörigkeit zur Deutschen Wehrmacht resultierte  absolute Gehorsamspflicht. Es gab keinerlei Möglichkeit des Ausweichens oder des sich Vorbeischummelns. Einzelheiten werden sich aus der Darstellung des weiteren Ablaufs ergeben.

Wenn ich mich recht erinnere, hat mich meine Mutter 2 Tage vor dem 10. Januar 1944 nach Berlin begleitet. Wir haben 2 mal in unserer pappvernagelten Wohnung übernachtet, meine Mutter kehrte nach Kalisch zurück, und ich bin dann allein mit der S-Bahn nach Potsdam gefahren, um mich bei meiner Einheit einzufinden. Dort traf ich auf alle meine Berliner Klassenkameraden des Jahrgang 1928. Wir waren – soweit ich mich erinnern kann - 14. Dieser Klassenverband blieb auch bei den folgenden Einsätzen in verschiedenen Stellungen beisammen. Zunächst hieß es “Klamotten fassen”: 2 Unterhosen, 2 Unterhemden, 2 Paar Socken, Schuhe, Knobelbecher (= Kurzschaftstiefel), Uniform, Drillichzeug. Dann begann die in allen Waffengattungen der Deutschen Wehrmacht übliche infanteristische Grundausbildung, die wir allerdings zu einem großen Teil und mit kleinen Unterschieden bereits im Jungvolk der Hitlerjugend erfahren hatten. So wurde z.B. im Jungvolk mit dem Karabiner 98k nachgebildeten Luftgewehren geschossen, jetzt mit richtigen Karabinern und scharfer Munition. Danach folgte die spezielle Ausbildung an den beiden Flakscheinwerfern 150 und 200 (die Zahlen geben den Durchmesser der Parabolspiegel in cm an) sowie den zugehörigen Ortungs-, Übertragungs- und Versorgungsgeräten (z.B. Maschinensatz zur Stromerzeugung für den Scheinwerfer). Die Gesamtausbildung hat nach meiner vagen Erinnerung ca. 6 bis 8 Wochen gedauert hat. Danach kamen wir zum Einsatz.

Die erste Stellung war Güterfelde bei Stahnsdorf am Rande Berlins. Sie verfügte über einen 150er Werfer. Die Unterkunftsbaracken und die Geräte waren jeweils von gut einem Meter hohen Splitterschutzwällen umgeben, die inzwischen – die Stellungen bestanden ja 1944 schon mehrere Jahre – durch wilde Bewachsung gut verfestigt waren. Stellungsführer und sein Vertreter waren 2 Unteroffiziere. Ich war K(anonier) 3 = Lampenwart. Zu meinen Aufgaben gehörte die Wartung der Bogenlampe des Scheinwerfers, und ich war derjenige, der bei dem Befehl “Licht auf” den Hauptschalter des Werfers in die Stellung “ein” umlegte. Geschaltete Leistung 44 KW. Die Stromerzeugung besorgte ein Maschinensatz, bestehend aus Mercedes 7,0 Liter Achtzylinder plus Generator (ich glaube von Siemens). Von der Verlegung nach Güterfelde  an hatten wir auch einen Minimalschulunterricht von 3 mal wöchentlich ca. 3 Stunden oder 4 Stunden, der aber nur wenige Fächer umfaßte. Erinnern kann ich mich an Deutsch und Chemie. Möglicherweise waren auch Latein und Mathematik dabei. Der Schulunterricht fand in einer Schule im benachbarten Babelsberg statt. Wir fuhren mit dem Rad dorthin. Es war möglich hierzu die Stellung zu verlassen, weil unser Scheinwerfer bei Tage nicht zum Einsatz kam. Luftwaffenhelfer in Kanonenbatterien wurden in den Stellungen unterrichtet. Die Lehrer kamen nicht von unserer Freiherr-vom-Stein-Schule. “Hausaufgaben” gab es nicht. Oft waren wir wegen der nächtlichen Einsätze total übermüdet. Der Unterricht war für die Katz. Den übrigen Tag und die schulfreien verbrachten wir nach Dienstplan mit Gerätewartung, Geräteexerzieren, Aufräumarbeiten in den Stellungsanlagen, Appellen, Schulungsstunden z.B. über Flugzeugerkennungsdienst, Luftabwehrtechnik und ähnliches. Bis 22.00 Uhr standen wir Posten. Danach übernahmen die 3 regulären Soldaten (Gefreite, Obergefreite) der Stellungsmannschaft die Bewachung. Am Sonnabend und Sonntag konnte jeweils die Hälfte der Luftwaffenhelfer für ein paar Stunden nach Hause fahren, soweit sie in Berlin lebende Eltern hatten. Ich bekam in größeren Abständen einen sogenannten 96-Stundenurlaub, um meine Mutter in Kalisch besuchen zu können. Noch etwas fällt mir ein: Nachdem wir zum Einsatz in die Stellung Güterfelde verlegt worden waren, wurde ich zum sogenannten Mannschaftsführer bestimmt. Wer damals die Auswahl vorgenommen hat, weiß ich nicht mehr. Der Mannschaftsführer war äußerlich durch einen silbernen Stern auf seinen Schulterklappen gekennzeichnet. Seine Aufgabe war, eine gewisse Aufsichts- und Ordnungsfunktion über die Luftwaffenhelfer der Stellung auszuüben, die Gruppe z.B. zu den täglichen Appellen antreten zu lassen, die dabei jeweils üblichen Meldungen zu machen und für den Stellungsführer als Ansprechpartner für alle die Luftwaffenhelfer der Stellung betreffenden Angelegenheiten zur Verfügung zu stehen. Um das gleich abschließend zu erledigen: Ich wurde auch in den folgenden Stellungen jeweils wieder zum Mannschaftsführer bestimmt. Wir erhielten einen geringen Wehrsold von – wenn ich mich richtig erinnere – 50 Reichspfennigen pro Tag, der mir zum Teil noch geschuldet wird.

Nach etwa 3 oder 4 Monaten wurden wir in die Stellung Beelitz-Stadt einer anderen Batterie verlegt. Noch vorher – glaube ich wenigstens – hatte ich einen Urlaub über Pfingsten 1944 und mein Vater auch. Wir trafen  uns für ein paar Tage bei meiner Mutter in Kalisch. Dabei habe ich ihn zum letzten Mal gesehen.

Die Stellung Beelitz-Stadt lag etwas mehr außerhalb Berlins als Güterfelde. Sie war Batteriebefehlsstellung, war etwa 1,5 km von der in einem Gasthaus einquartierten Batteriebefehlsstelle, in der auch der Batteriechef (Oberleutnant Wolff) mit seinem kleinen Stab untergebracht war, entfernt, verfügte über einen 200er Werfer und ein FuMG 39 = Funkmeßgerät = Radargerät. Die 39 bedeutet 1939, das Jahr, in dem dieser Gerätetyp bei der deutschen Luftwaffenflak eingeführt worden war; meines Wissens weltweit das erste einsatzfähige Radargerät zur Flugzeugortung. Der Werfer wurde automatisch vom FuMG gesteuert. Die Meßgenauigkeit des FuMG und diese Automatik garantierten, daß ein elektrisch erfaßtes Flugzeug sich bei “Licht auf” mit praktisch absoluter Sicherheit im Lichtkegel des Werfers befand. Die Erstauffassung feindlicher Flugzeuge war die Aufgabe der Batteriebefehlsstellung. Die übrigen Werfer der Batterie und auch benachbarter Batterien hängten sich an den “Erstaufgefaßten” ran, der sich dann in der Festbeleuchtung von u. U. einem Dutzend sich bei ihm kreuzender Scheinwerferkegel befand. Ich genoß den Vorzug, nachträglich am von 3 Richtkanonieren bedienten FuMG ausgebildet zu werden, was nur wenige Stunden in Anspruch nahm. Die moderne Technik hatte natürlich hohe Anziehungskraft und ihre Effektivität auch. Schließlich verteidigten wir unser Land, unsere Stadt gegen eine Luftkriegsführung, die wir damals gefühlsmäßig ablehnten und von der ich heute weiß, daß sie auch schon damals ein völkerrechtswidriges Kriegsverbrechen war. Sie sollte erklärtermaßen den Widerstandswillen der deutschen Zivilbevölkerung brechen und hat, auch bei den deutschen Soldaten, das genaue Gegenteil dessen bewirkt. Gezielte Bombenwürfe auf rein militärische Ziele gab es bei den alliierten Luftstreitkräften schon lange nicht mehr. Vielmehr wurden Flächenbombardements immer größeren Ausmaßes praktiziert. Die Grenzen der zu bombardierenden Fläche wurden für die feindlichen Bomber durch von uns so genannte "Christbäume" markiert. Das waren an Fallschirmen mit kleiner Sinkgeschwindigkeit hängende lange brennende Leuchtkugelbündel, die langsam herabsanken und den englischen und amerikanischen Bomberbesatzungen zur Orientierung, zur Erkennung der zu bombardierenden Fläche dienten. Oft genug waren dabei große Teile des Berliner Stadtgebietes das Ziel. Während meines Einsatzes in der Stellung Beelitz-Stadt erhielt ich das Flakkampfabzeichen. Die Urkunde bekam ich allerdings erst im Dezember 1944. Die Verleihung erfolgte nach einem Punktesystem. Für Scheinwerferkanoniere gab es, soweit ich mich erinnere,  einen Punkt für die Erstauffassung eines feindlichen Flugzeuges und einen weiteren, wenn dieses, nachfolgend im Scheinwerfer geführt, durch Nachtjäger oder Flak abgeschossen wurde. Hatte man 18 oder 20 (?) Punkte erreicht, wurde das Flakkampfabzeichen verliehen. Ich habe als Radarkanonier die erforderliche Punktzahl in einer einzigen Nacht erreicht und danach die Punkte nicht mehr gezählt. Irgendwann war ich zum Luftwaffenoberhelfer befördert worden, gekennzeichnet durch eine silberfarbene Litze auf den Schulterklappen zusätzlich zum Stern.

In den Stellungen Güterfelde und Beelitz-Stadt lagen wir meist in den Randbereichen der Flächenbombardements und hatten während unserer Einsatzzeit keine Einschläge in Stellungsnähe. Eine vorher in einer Entfernung von ca 200 bis 300 m bei der Stellung Güterfelde niedergegangene Sprengbombe blieb ein Blindgänger und lag mit aufgerissenem Stahlmantel entschärft im Wald.

Das wurde etwas anders, nachdem wir im Herbst 1944 nach Spandau in die Stellung Ruhleben verlegt wurden. Sie war ebenfalls Batteriebefehlsstellung, verfügte neben einem 200er Werfer über ein FuMG 41, ein noch größeres, weiter reichendes Radargerät. Wir fühlten uns dort quasi zu Hause, waren wir doch alle Spandauer. Meine Kameraden wohnten alle in Siemensstadt. Ich war der einzige Haselhorster. Beide Ortsteile gehören noch immer zum Verwaltungsbezirk Spandau von Berlin. Der Schulunterricht fand in dem Gebäude der Spandauer Mädchenmittelschule unmittelbar neben der Nicolai-Kirche statt. Wir waren zu dieser Zeit die einzigen Schüler, die dort unterrichtet wurden. Der Unterricht fiel wegen der nunmehr häufigen Tagesangriffe oft aus. Wir lagen jetzt praktisch immer im Flächenbombardement und es rumste öfter in Stellungsnähe. Offenbar hatten wir einen Schutzengel. Während um uns herum einiges in Trümmer ging, blieb die Stellung unversehrt. Verwundungen oder Verluste gab es nicht. Einmal, nach einem schweren Tagesangriff, durften wir alle schnell mit unseren Rädern nach Hause fahren, um zu sehen, ob die Häuser mit den elterlichen Wohnungen noch stehen. Auf dem Rückweg kürzte ich ab. Am Kraftwerk West ( heißt jetzt Reuter ) lag ein Blindgänger quer über dem Weg. Er war nicht ins Erdreich eingedrungen, sondern offenbar auf neben dem Weg gestapelte große Granitsteine auf- und dann nicht zündend abgeprallt. Ich zögerte kurz, dachte an den nun vor mir liegende großen Umweg, hob mein Rad an, stieg drüber und fuhr, allerdings nun so schnell ich konnte, weiter. Solchen Unsinn macht man noch mit inzwischen 16 Jahren, vielleicht aber auch nur im Kriege. Wie dem auch sei, ich habe ihn jedenfalls gemacht......

Mitte Dezember 1944 wurden wir entlassen, nachdem wir noch einige Tage in einem Barackenlager unserer Abteilung in der Gartenstadt Staaken, auch zu Spandau gehörig, uns ohne Dienstplan ausruhen durften. In meiner elterlichen Wohnung verabschiedeten wir uns bei einer kleinen Fete mit Glühwein aus einer Flasche Chianti, die ich noch im elterlichen Keller gefunden hatte. Zwei von uns waren nicht mehr dabei. Sie hatten sich als hauptamtliche HJ-Führer (HJ = Hitlerjugend) zur Verfügung gestellt. Ob sie das aus politischer Überzeugung getan hatten oder in der Hoffnung, so einer neuerlichen Einberufung zu entgehen, weiß ich nicht. Einer von ihnen hat es mit dem Leben bezahlt. Er ist in einem russischen KZ umgekommen. Der andere hat es überlebt, uns nach dem Krieg gemieden und nie ein Wort über das verlauten lassen, was er in sowjetischer KZ-Haft erlitten hatte. Ein Grundschulfreund aus unserer Nachbarschaft hatte das gleiche überlebt. Seine Mutter berichtete mir später einmal, sein Körper sei von Narben, die von Peitschenhieben stammten, übersät gewesen. Sie habe den Anblick kaum ertragen können. Er selbst hat anderen gegenüber sein Erleben mit keinem einzigen Wort erwähnt.

Die Kriegslage mußte zu diesem Zeitpunkt auch einem Optimisten desolat erscheinen. Von Wunderwaffen war die Rede. Ob es solche nicht doch gab, möglicherweise in noch nicht einsatzreifem Entwicklungsstadium, wird ja neuerdings diskutiert. Bei den meisten war die Furcht vor einem verlorenen Krieg groß. Diese Furcht war das Ergebnis nicht der Propaganda der nationalsozialistischen Reichsregierung sondern das der alliierten Kriegsführung und antideutschen Hetzpropaganda. Beispielhaft sei noch einmal der verbrecherische Luftkrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung, den wir alle ja nun aus eigener Anschauung kannten, die grauenhafte Terrorwelle der Roten Armee auf deutschem Boden und ähnliches von französischen Truppen nach Überschreiten der Reichsgrenze genannt. Hunderttausende von deutschen Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt, die meisten mehrfach und in Serie von bis zu 40 Rotarmisten. Das hat den Widerstandswillen der Deutschen, Zivilisten wie Soldaten, bis zur letzten Kriegsminute aufrecht erhalten, ein Geschehen, das das Vorstellungsvermögen spätgeborener Besserwisser offensichtlich hochgradig übersteigt.

Ich fuhr nach dem Abschied von den Kameraden mit einem sogenannten Fronturlauberzug zu meiner Mutter nach Kalisch. Der Zug war überfüllt. Ein Wagen war fast leer, weil seine Heizung nicht funktionierte. In dem fror ich mich über 420 km durch. In Kalisch ging ich noch ein paar Tage in meine Schulklasse, die ich ein knappes Jahr vorher verlassen hatte. Sie bestand mit mir aus noch 3 Jungen. Die anderen waren inzwischen auch irgendwo als Luftwaffenhelfer eingesetzt. Der Rest waren Mädchen. Den Schulweg von etwa 7-8 km mußte ich zu Fuß zurücklegen, weil ich mein Fahrrad in Berlin gelassen hatte. Mit meiner Mutter konnte ich das Weihnachtsfest begehen. Die Stimmung war gedrückt. Im Januar sahen wir im Osten erstmals Mündungsfeuer von Artillerie am Horizont. Etwas später hörten wir Geschützdonner. Am 19. Januar 1945 verließen wir unter Zurücklassung all dessen, was wir vor den Bomben aus Berlin nach Kalisch in Sicherheit gebracht hatten, mit einem organisierten Treck aus Pferdefuhrwerken das Gut der Ungern-Sternbergs. Ich war einer der wenigen "Männer" im Treck und von denen einer der wenigen, die mit Handfeuerwaffen umgehen konnten. Deshalb erhielt ich vom Treckführer eine Pistole. Nachts stand ich mit einem Karabiner Wache. Es war ein bitterkalter Winter, die Straßen spiegelglatt. Die Pferde hatten Probleme und die eisenbeschlagenen Räder der Wagen kamen immer wieder seitlich ins rutschen. Mehrere Tage lang ging alles gut. Dann aber, in der Nähe von Glogau, rutschte unser Wagen in den Straßengraben und stürzte um. Das wenige unserer Habe, das wir hatten aufladen können, war nun auch verloren. Meine Mutter und ich wanderten zu Fuß weiter westwärts. Ein geschlossener Wehrmachts-LKW nahm uns schließlich bis zum Bahnhof Glogau mit. Von dort fuhren noch Eisenbahnzüge westwärts. So gelangten wir verhältnismäßig zügig und bequem nach Berlin zurück. Wenn ich mich recht erinnere, kamen wir in Berlin auf dem Görlitzer Bahnhof an. Das war ein sogenannter Kopfbahnhof, von und zu dem nur Fernzüge verkehrten. Wir mußten zu Fuß bis zur nächstgelegenen S-Bahnstation durch das nächtliche Berlin laufen, dessen Gebäudebestand zu diesem Zeitpunkt bereits zu etwa 60% zerstört war. Mit der S-Bahn kamen wir dann noch bis zum Bahnhof Jungfernheide im Nordwesten Berlins, von dem die Strecke nach Gartenfeld = Spandau-Haselhorst abging. Es mag etwa 02.00 Uhr gewesen sein, und nach Gartenfeld fuhren zu dieser Zeit keine Züge mehr. So machten wir uns zu Fuß auf den noch 5 km langen Heimweg. Unsere beiden Rucksäcke mit dem Rest der Habe trug jetzt ich, einen auf dem Rücken, den anderen vor der Brust. Den Zustand unserer Wohnung habe ich bereits beschrieben. Hinzugekommen war lediglich die Einquartierung einer ausgebombten Frau Mitte 1944, sodaß wir von unseren 3 Zimmern nur zwei bewohnen konnten und Küche und Bad mit der Einquartierten teilen mußten.

Die Stimmung war düster. Die häufigen Luftangriffe belasteten die Menschen. Die Tage meines Aufenthalts waren gezählt. Bald nach unserer Ankunft erhielt ich die Einberufung zum Reichsarbeitsdienst. Damit war klar: Ich wurde Soldat. Im Deutschen Reich gab es damals eine zweijährige allgemeine Wehrpflicht, der ein Jahr Reichsarbeitsdienst vorgeschaltet war. Der Reichsarbeitsdienst, ursprünglich ein Instrument, die Arbeitslosen von der Straße zu bekommen und quasi kaserniert und organisiert zur Arbeit einzusetzen, z.B. beim Bau der Reichsautobahnen, war im Kriege zu einer Art paramilitärischen Einrichtung geworden, die zu allen möglichen Arbeiten im eigenen und auch im eroberten Feindesland eingesetzt wurde. Der Wehrdienst schloß sich meist kurze Zeit nach Ende des Arbeitsdienstjahres an. Die Einberufung erfolgte ursprünglich mit 18 Jahren. Man hatte zu diesem Zeitpunkt in der Regel Schule oder Lehre abgeschlossen. Im Laufe des Krieges wurde das Einberufungsalter schrittweise herabgesetzt und  die Arbeitsdienstzeit schrittweise verkürzt. Als mir die Einberufung zugestellt wurde, hatte ich gerade einen grippalen Infekt. Meine Mutter ging mit mir zu unserem langjährigen Hausarzt, der mich mit einem Fieberthermometer in eine Kabine setzte und äußerte, wenn ich Fieber von 39° oder mehr hätte, könnte er mir selbstverständlich  bescheinigen, daß ich der Einberufung nicht Folge leisten könne. Ich hatte aber kein Fieber und machte von der Möglichkeit, das Thermometer auf mindestens 39° hochzureiben keinen Gebrauch. Also folgte ich dem Einberufungsbefehl. Am 07. Februar 1945, ich war jetzt genau 16 Jahre und 193 Tage alt, hatte ich mich in aller Frühe auf dem Güterbahnhof Berlin-Weißensee einzufinden. Dort traf ich meinen Schul- und Luftwaffenhelferkameraden Klaus Thomsen. Wir fuhren zunächst mit dem gleichen Transportzug nordwärts. Später trennten sich unsere Wege. Ich wurde einer Arbeitsdienstabteilung auf der Insel Sylt zugeteilt. Sie lag in der Vogelkoje, einer Engstelle der Insel in deren Nordteil. Untergebracht waren wir in einem aus Steinbaracken bestehenden Gebäudekomplex des Hamburger Schulvereins. An sich nicht schlecht, aber die Zentralheizung war kaputt und es war bitterkalt. Die aufgestellten eisernen Öfen – man nannte sie Kanonenöfen – konnten die Räume immer nur vorübergehend erwärmen. Wir erhielten erneut infanteristische Grundausbildung und wurden mit Handfeuerwaffen und Panzerfäusten bewaffnet, denn die Abteilung war in das Konzept für die Verteidigung der Insel integriert. Dadurch erhielten wir Marineverpflegung, und die war gut. Unangenehm war der nächtliche Bewachungsdienst wegen der Kälte und wegen des meist eisigen Windes. Mehrere Zweimannstreifen umrundeten nachts ständig das Lager, weil Landungsversuche des Feindes erwartet wurden. Bei Tage waren wir meist damit beschäftigt, die am Lager vorbeiführende Strecke der Sylter Inselbahn aus einer Wanderdüne auszugraben. Die mit Sand beladenen Karren auf einer Bretterbahn über Dünensand zu schieben war Kraftsport. Ansonsten verlief der Tag nach Dienstplan. Wenn ich mich richtig erinnere, war die Arbeitsdienstzeit nach ca. 7-8 Wochen vorbei. Wir wurden für einige Tage in ein küstennahes Lager auf dem Festland transportiert, erfuhren dann, daß wir direkt in die Wehrmacht überführt werden würden. Damit trennten sich viele Wege, weil wir verschiedenen Truppenteilen zugeteilt wurden. Ich landete mit einigen wenigen meiner Arbeitsdienstkameraden in Delmenhorst bei Bremen. Dort mußte ich meinen Koffer mit Zivilkleidung, in der ich am 07. Februar Berlin verlassen hatte, mit der Post nach Hause schicken. Angekommen ist er nie.

Zu dieser Zeit wußte ich zwar schon, daß ich Medizin studieren und Arzt werden wollte. Doch schon in der Luftwaffenhelferzeit war mir klar geworden, daß das Leben als einfacher Soldat oder Unteroffizier nicht so sehr erstrebenswert ist und es sah so aus, als ob der Krieg sich noch einige Jahre hinziehen könnte. Deshalb hatte ich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, mich freiwillig für die Reserveoffizierslaufbahn zu melden, um irgendwann dem “Muschkotenalltag” zu entkommen (Muschkote = abschätzig: der einfache Fußsoldat, wir haben auch “Schütze Arsch” gesagt). Als Waffengattung hatte ich die Heeres-Flak gewählt, die auch sehr oft im Erdkampf eingesetzt wurde. Gelandet bin ich in Delmenhorst aber bei der Infanterie, wie alle gegen Kriegsende eingezogenen. Die Einheit nannte sich Führernachwuchsschule der Infanterie Nr. 14 und hatte die Stärke eines Bataillons mit 4 Kompanien zu je 4 Zügen, zusammen rund 500 Mann. In ihr wurden gemeinsam sowohl Offiziersbewerber als auch Unteroffiziersbewerber ausgebildet. Diese Führernachwuchsschulen waren unter Abschaffung der bisherigen Kriegs- und Waffenschulen für Offiziere nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 eingerichtet worden. Sie sollten wohl den personellen Nachschub der elitären deutschen Offizierskaste unterbinden,  aus der ja ganz wesentlich der zum Attentat führende Widerstand gegen Hitler entwickelt worden war. Alle Ausbilder waren schwer verwundete, nicht mehr kriegsverwendungsfähige, fronterfahrene und meist hoch dekorierte Offiziere und Unteroffiziere. Der Kommandeur, Major Iversen, hatte nur noch einen Arm. Mein Kompaniechef, Oberleutnant Pobering, war ein Berliner. Mein letzter Zugführer, Feldwebel Ottenberg, ist noch am letzten Kriegstag gefallen. Es folgte zum dritten Mal infanteristische Grundausbildung. Die war diesmal superbeinhart. Z. B. ständig gesteigerte Tagesmärsche mit voller Ausrüstung bis zu 30 Kilometern usw., usw. . Die Verpflegung war schlecht. Wir mußten ständig “Kohldampf” schieben. Das ging soweit, daß nächtliche Kameradendiebstähle aufkamen; nach Feigheit vor dem Feinde das Schlimmste, was einem Soldaten damals vorgeworfen werden konnte. Unser Verhältnis zu den Vorgesetzten = Ausbildern war ausgezeichnet. Wir spürten wohl instinktiv, daß diese Männer uns mit väterlichem Wohlwollen peinigten. Später haben wir erkannt, daß wir diesem eisernen Schliff letztlich das Überleben verdankten. “Schweiß spart Blut”. Ein fürchterlich klingender aber dennoch richtiger Satz. Von Delmenhorst wurde die Einheit nach Rostock in eine alte Kaserne (die war wenigstens geheizt und unbeschädigt) verlegt, und aus dieser in ein in küstennahem Wald gelegenes Barackenlager bei Markgrafenheide, einige Kilometer östlich von Warnemünde. Neben Hunger peinigte uns auch die Kälte, deretwegen man nachts manchmal kaum schlafen konnte. Ende April 1945, als sich die Ostfront näherte, wurden wir nach Warnemünde verlegt und dort für kurze Zeit in einem leer stehenden, verlassenen Hotel einquartiert. Die Verteidigung Warnemündes gegen die vorrückende Rote Armee wurde vorbereitet. Dann ereignete sich etwas fast Unglaubliches: Major Iversen, der einarmige Kommandeur unserer Einheit, zog einen Befehl des Führers und Reichkanzlers und Oberkommandierenden der Wehrmacht Adolf Hitlers aus der Tasche und erklärte dem für die Verteidigung Warnemündes zuständigen General: “Meine Jungen dürfen laut Führerbefehl nicht in Kampfhandlungen verwickelt werden und ich bitte Sie, mir bei der Befolgung dieses Befehls keine Schwierigkeiten zu bereiten.” Dann folgten eine kurze Ansprache der Kompaniechefs und ein Gewaltmarsch westwärts, mit voller Ausrüstung, meist im Schutz küstennaher Wälder bis zur Halbinsel Poel bei Wismar, 104 km, die in 26 Stunden zurückgelegt wurden. Unterwegs machte unser MG-Schütze 1 schlapp. Ich übernahm freiwilig das Maschinengewehr, ein MG 34 (Einführung 1934, 17 kg schwer (wenn ich mich richtig erinnere), 800 Schuß pro Minute). Ein zweiter Kamerad in der Gruppe machte total schlapp. Wir setzten ihn auf ein requiriertes Fahrrad, das zwei von uns schoben, die eigentlich an ihrer Ausrüstung (Karabiner, Tornister, MG-Munitionsketten) schon genug zu tragen hatten. Irgendwo hinter Kühlungsborn machten wir eine vierstündige Pause, in der wir abwechselnd schliefen, auf der Erde ohne Unterlage. Einige mußten immer wach bleiben, weil man nach einer halben Stunde Schlaf so steifgefroren war, daß man nicht mehr ohne Hilfe aufstehen konnte. Zur Halbinsel Poel führte ein schmaler, höchstens 100 m langer Damm. An dessen Ende stand auf der Halbinsel ein Haus, mit der Giebelseite zum Festland. Als Scharfschütze der Gruppe, ausgerüstet mit einem Karabiner 43 (10 Schuß automatisch, Zielfernrohr) wurde ich mutterseelen allein in diesem von den Bewohnern verlassenen Haus zurückgelassen. Ich saß im Obergeschoß an einem Fenster mit Blick auf das Festland. Der völlig unbewachsene Damm war gut zu übersehen. Meine Aufgabe war, sich etwa nähernde russische Infanterie durch gezielte Schüsse aufzuhalten. Man hatte mir gesagt, ich würde abgeholt, wenn die gesamte Einheit, wie vorgesehen auf einem Truppentransporter, der, ungefähr 1 km von einem kleinen Fischereihafen entfernt, in tieferem Ostseewasser vor Anker lag, eingeschifft sei. Ansonsten würde man, wenn ich schießen müßte, die Schüsse hören und mir zur Hilfe kommen. Ich verbrachte ungefähr zwei Stunden auf meinem Posten, von leisen Zweifeln beschlichen. Es passierte nichts. Plötzlich hörte ich ein Motorrad. Es war der Kradmelder, der mich abholte. -- Mit meiner Frau habe ich im Jahre 2000 gelegentlich einer Ostseereise auch die Halbinsel Poel besucht. Das Haus stand noch so, wie 55 Jahre vorher. --  Von dem kleinen Fischereihafen aus wurde ich mit den letzten unserer Einheit von einer Barkasse zu dem Truppentransporter übergesetzt. An einer Strickleiter mußten wir einzeln die vielleicht 6-7 Meter hohe Bordwand hinaufhangeln, bis oben zwei kräftige Matrosen jeden von uns packten und über die als Reling fungierende, etwa einen Meter über Deckshöhe hochgezogene Bordwand hievten. Die Laderäume des Frachters waren mit Stroh ausgelegt und einigermaßen warm. Vor dem Einschlafen hatte ich gerade noch Maschinengeräusche und eine leise Vibration des Schiffskörpers wahrgenommen. Das Schiff – es war ein Dampfer – hatte sich in Bewegung gesetzt. Es sollte uns auf dem Seeweg nach Dänemark bringen. Ich erwachte durch ein eigenartiges Geräusch. Es hörte sich an, als ob jemand eine Hand voller Kieselsteine in eine leere Badewanne würfe. Es waren die auf die Bordwand prallenden MG-Garben  von englischen Jagdbombern, die Tiefangriff auf Tiefangriff flogen. Ihre Bordkanonen durchschlugen die Bordwand nicht, wohl aber die Schiffsaufbauten. Wir erhielten auch mehrere Treffer kleinerer Sprengbomben. Die beiden 2-cm-Vierlinksflakgeschütze des Schiffs waren bald ausgeschaltet, die Kanoniere ausnahmslos gefallen. Der Maschinenraum getroffen, der Kohlevorrat in Brand geraten, das Schiff manövrierunfähig, bekam Schlagseite. Unsere Einheit war halbiert. Die Engländer hatten unser Schiff mit vielen anderen, darunter auch die Cap Arcona, in der Kieler Bucht aus der Luft eingemint und so an der Weiterfahrt gehindert. Die Angriffe hörten ziemlich plötzlich auf, möglicherweise, weil ein großes weißes Tuch mit einem aus Blut gemalten roten Kreuz gehißt worden war. Es wurde reichlich Verpflegung unter den Überlebenden verteilt. Ich habe u.a. ein ganzes halbes Pfund Butter gegessen. Man sah das Festland, und ich hatte überlegt, wenn ich schwimmen müßte, brauchte ich wohl reichlich Kalorien. Dann kam ein Schnellboot der Kriegsmarine längsseits, machte bei uns fest und schleppte das beschädigte Schiff in den Hafen von Eckernförde. Wir wurden in den ausgedehnten Gebäuden der Torpedo-Versuchsanstalt (TVA) Eckernförde untergebracht. Dort erfuhren wir vom Tode Hitlers und der Übernahme der Funktion des Deutschen Reichskanzlers und Oberbefehlshabers der Wehrmacht durch Großadmiral Dönitz. Einer unserer Ausbilder, Dipl. Ingenieur bei Telefunken, machte eine Rundfunkempfangsanlage betriebsfähig. Wir hörten die letzte Ansprache von Dönitz und vom quasi Sonderwaffenstillstand mit den Westmächten. Für einige Tage ging die Hoffnung um, die Westmächte würden stillhalten und wir könnten die Sowjets wieder aus unserem Land hinauswerfen. Die Deutschen Truppen im Gebiet Schleswig-Holstein und Dänemark umfaßten zu diesem Zeitpunkt ca. 2,1 Millionen Mann in keineswegs demoralisierten Einheiten, denen nur zwei Dinge fehlten: Treibstoff und Essen. Es kam bekanntlich anders.

Von den Engländern sahen wir zunächst gar nichts. Selbst mit der Entwaffnung ließen sie sich etliche Tage Zeit. Bei der nahmen sie uns allerdings auch unsere Koppel ab und zerschnitten diese vor unseren Augen in kleine Teile. Ob man befürchtete, deutsche Soldaten könnten auch mit ihren Koppeln noch angreifen ? Ansonsten war der Aufenthalt in der TVA relativ angenehm, nicht zuletzt wegen der unmittelbaren Nachbarschaft unseres Quartiers zur Feldbäckerei der 24. Panzerdivision, deren Vorratszelt wir Abend für Abend mit erfolgreichen Spähtruppunternehmen heimsuchten. Meistens habe ich in dieser Zeit in einer zwei- bis dreistündigen Abendmahlzeit ein ganzes Kommißbrot (ca. 1,5 kg ?) langsam und gründlich kauend mit Wasser zu mir genommen und gelobt, ich würde mich bis an mein Ende mit Wasser und Brot zum Abendessen begnügen, wenn ich gewiß sein könnte, nur immer genug davon zu haben.

Dieser relativ angenehme Abschnitt meiner Kriegsgefangenschaft fand jedoch schon etwa Mitte Mai ein Ende. Die Engländer fuhren die gesamten entwaffneten deutschen Truppen aus dem Norddeutschen Raum einfach nordwärts über den Kaiser-Wilhelm-Kanal = Nord-Ostsee-Kanal, riegelten diesen hermetisch ab, sodaß Nord-Schleswig-Holstein und das dänische Festland zu einem riesigen Gefangenenlager wurden. Der Transport erfolgte auf offenen LKWs, deren Ladeflächen von jeweils ca. 30 Mann im Stehen vollständig ausgefüllt wurden. Das Herunterfallen, insbesondere bei Kurvenfahrten, konnte nur dadurch verhindert werden, daß alle sich zuverlässig gegenseitig aneinander festhielten. Die Fahrt dauerte mehrere Stunden, die Engländer fuhren in Kolonne mit minimalem Abstand von nur wenigen Metern und wie die Wahnsinnigen. Man beließ uns im Verbund unserer jeweiligen Einheiten unter der Befehlsgewalt unserer eigenen Vorgesetzten, die sehen mußten, wie sie die Disziplin ihres jeweiligen Haufens aufrecht erhielten. Wir landeten in einem kleinen Ort namens Busenwurth, Krs. Meldorf. Größtes Problem war die Ernährung. 40 Mann ein Brot pro Tag und etwas Wassersuppe. Auch hier gab es wieder Spähtruppunternehmungen, allerdings mit nur geringer Ausbeute. Untergebracht waren wir in den Scheunen der Bauernhöfe. Das war für eine Einiges gewohnte Truppe eher komfortabel. Stroh wärmt gut. Eine gewisse Fairness muß man den Engländern zugestehen. Nachdem zunächst alle Orden und Ehrenzeichen abgelegt werden mußten, hat z.B. der kommmandierende englische General unseren Divisionskommandeur (unsere Schule war als Bataillon 123 einer Infanteriedivision zugeordnet worden) demonstrativ aufgefordert, sein Ritterkreuz wieder anzulegen, weil er ihn als korrrekten und fairen Soldaten kennengelernt habe. Und unser einarmiger Major Iversen durfte seine Einheit verlassen und auf das im Dithmarschen gelegene Gut seines Vaters heimkehren. Neben dem Hunger plagten uns die Läuse. Weder ein Bad in der kalten Nordsee noch das Abkochen der Unterwäsche im Kochgeschirr, aus dem man sonst seine Suppe aß, noch das Scheren des Haupthaars brachten dauerhaften Erfolg. Das Leben ohne Dienst wurde überwiegend mit Skatspielen ausgefüllt. Ansonsten beherrschte eine absolute Perspektivlosigkeit unser Dasein, die wir in dem damaligen Alter jedoch in einer mich heute noch erstaunenden Weise wegsteckten. Dabei wird die sicher im Plan der Schöpfung vorgesehene “Ahnungslosigkeit” der Jugend eine wesentliche Rolle gespielt haben. Niemand hatte eine Vorstellung, wie es in unserem Lande weitergehen würde, ob wir jemals wieder ein geordnetes und kultiviertes Leben würden führen können. Daran war angesichts des Morgenthauplans und ähnlicher Geistesexzesse, vor allem aber des kommunistischen Terrors der Sowjetunion, Zweifel mehr als berechtigt. Erreichte uns bis Ende Februar/Anfang März 1945 gelegentlich per Feldpost noch ein Lebenszeichen von Angehörigen, war seither jede Verbindung abgeschnitten. Niemand wußte, ob Eltern und Geschwister noch lebten, ob Häuser und Wohnungen noch existierten. Besonders schlimm waren die aus den deutschen Ostgebieten stammenden Kameraden dran, die häufig  noch länger nichts mehr von ihren Familien gehört hatten, folglich nicht wußten, wo diese abgeblieben waren. Dann kam die Nachricht, die englische Besatzungsmacht würde diejenigen aus der Gefangenschaft entlassen, die in der britischen Besatzungszone Deutschlands beheimatet seien oder eine Adresse von Verwandten daselbst angeben könnten und jeder so zur Entlassung Anstehende könne einen weiteren Kameraden mitnehmen. Insoweit handelten die britischen Militärbehörden korrekt gemäß Haager Landkriegsordnung. Außerdem erklärten sie, mit dieser Maßnahme Arbeitskräfte für die Einbringung der Ernte freimachen zu wollen. So wurde ich mit einem Kameraden, heute würde man wohl Kumpel sagen, dem ich die Mitnahme angeboten hatte, am 15. Juni 1945, demnach noch vor meinem 17. Geburtstag, aus königlich britischer Kriegsgefangenschaft entlassen, wie die Kopie des Entlassungsscheins belegt, und zwar nach Schneverdingen/Kreis Soltau in der Lüneburger Heide. Dort lebte seit ca. 20 Jahren die Familie der Schwester meines Vaters, mithin meine Tante. Die Engländer fuhren die in den Kreis Soltau zu entlassende Gruppe mit LKWs ebendorthin. Diesmal konnten wir alle auf der Ladefläche sitzen. Ausgeladen wurden wir, also auch der von mir mitgenommene Kamerad und ich, vor dem Arbeitsamt in Soltau.

Das Arbeitsamt, somit eine deutsche Behörde, verteilte uns Ankömmlinge auf umliegende Bauernhöfe. Mein Hinweis auf die von mir angegebene Adresse wurde nicht einmal ignoriert. Im Zivilleben völlig unerfahren fügten wir beide uns und marschierten zum Höpenhof, einem Einödanwesen ca. 6-8 km von Soltau entfernt. Schließlich mußten wir ja irgendwo übernachten und hätten gern auch etwas gegessen. So wurde ich Landarbeiter. Der Bauer, ein unerfreulicher Primitivling, entnahm meinem Entlassungsschein, daß ich von Beruf “Schueler” sei und erklärte mir, wir brauchten keine “Doktors” und “Professors” mehr. Meine Landarbeiterkarriere dauerte nur etwa 14 Tage. Der Mann griff mich tätlich an und landete als Folge davon in dem hinter ihm stehenden Kleiderschrank. Außerdem hatte er mir durch einen schuhbewehrten Fußtritt eine Verletzung zugefügt. Mein Kumpel blieb und heiratete später die Hoftochter. Ich packte meine drei Klamotten und ging. In Soltau  erstatte ich Strafanzeige. Mit Hilfe der deutschen Polizei wurde meine Verletzung ärztlich dokumentiert und mir ein Nachtquartier in der Scheune eines dem Polizeirevier benachbarten Stadtgehöfts verschafft. Die sehr nette Bäuerin, etwa im Alter meiner Mutter, bewirtete mich reichlich und ohne jegliches Entgelt. Zu bedenken ist dabei, daß es ohne Lebensmittelkarten zu dieser Zeit auch für Geld nichts zu essen gab. Und ich hatte keine. Auch keine Landkarte. Am nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg nach Schneverdingen, indem ich mangels Karte auf der noch nicht wieder in Betrieb genommenen Eisenbahnstrecke nach Buchholz und Hamburg bis Schneverdingen lief. Den Kilometersteinen konnte ich entnehmen, daß es 18 km waren. Ich wußte, daß meine Tante eine Etage in dem Haus Bahnhofstraße 403 bewohnte. Es war niemand zu Hause. Die Hauswirtin sagte mir, daß meine Tante in der Lebensmittelgroßhandlung Haberlandt, der Inhaber war ein Verwandter meines angeheirateten Onkels, arbeite. Als ich das Büro betrat, schaute meine Tante kurz auf. Dann ging ein Erkennen über ihr Gesicht und sie sprang auf: “Mensch, wo kommst Du denn her ?!” Ich höre ihren Ausruf heute noch. Sie packte ihre Sachen und ging mit mir sofort nach Hause. Dort traf ich dann auch ihre Tochter, meine Kusine. In der Wohnung war noch eine Flüchtlingsfrau aus Kolberg mit ihren beiden Söhnen von ca. 10 und 8 Jahren untergebracht. Später kam der aus Kriegsgefangenschaft heimkehrende Ehemann und Vater dazu, Major der Reserve, angenehme Leute. Mein Onkel Eckardt war von den Engländern wegen seiner Tätigkeit in der NSDAP inhaftiert und in ein Lager nach Belgien verbracht worden. So hatten die Engländer politische Gegner oder Mißliebige seit langem, mindestens seit den Burenkriegen behandelt, zu welchem Zwecke sie bei jenen die so genannten “Konzentrationslager” erfunden hatten. Mein Onkel, von Beruf Prokurist einer Schuhfabrik in Schneverdingen, hatte sich absolut nichts zu Schulden kommen lassen und wurde schließlich nach ca. 1 ½ Jahren – man darf eigentlich korrekt sagen: KZ-Haft - wieder freigelassen, ohne mit einem Schuldvorwurf konfrontiert worden zu sein. Er genoß in Schneverdingen hohes Ansehen, was mir zugute kam. Die Eigentümer eines großen landwirtschaftlichen Betriebes bescheinigten mir, daß ich bei ihnen als Landwirtschaftspraktikant beschäftigt sei. Damit konnte ich mich offiziell polizeilich anmelden und erhielt, was das Wichtigste war, Lebensmittelkarten. Im Hause meiner Tante machte ich mich nützlich: Torf stechen. Damit konnte man heizen. Dann wurde mir die Stelle des Milchkontrolleurs der Schneverdinger Molkerei-Genossenschaft angeboten. Nachdem ich mich bei allen Bauern, bei denen ich tätig werden sollte, vorgestellt hatte, wurde mir ein Einheimischer vorgezogen. Der Posten war begehrt, weil man natürlich von den Bauern auch mal etwas zu essen bekam. Dann wurde ich Waldarbeiter im Soltauer Staatsforst. Neben etwas Geld bekam man Brennholzanrechte. Auf diese Weise verschaffte ich meiner Tante Holz in einer Menge, mit der sie 2 Jahre heizen  konnte. Im Windbruch durfte man Wurzelholz schlagen und kostenlos mitnehmen. Das brannte wegen seines Harzreichtums fast wie Anthrazit. Der Oberförster wollte mich zum Vorarbeiter machen. Dazu kam es nicht, weil ab etwa Mitte November 1945 der Schulbetrieb wieder aufgenommen wurde. Ich ging ins Soltauer Gymnasium. Täglicher Schulweg 2 x 18 km, die mit dem Fahrrad meines Onkels zurückgelegt wurden. Bis dahin hatte ich die gesamte mir verbliebene Freizeit dazu benutzt, mit Hilfe der Schulbücher meiner Kusine meine äußerst lückenhaften Schulkenntnisse so weit wie möglich aufzufrischen und aufzufüllen. Ich erinnere mich, daß ich tagelang über den Lösungsweg für quadratische Gleichungen gegrübelt hatte, bis mir die dunkle Erinnerung kam, das habe doch etwas mit den Binomischen Formeln zu tun. Und dann klappte es. Außerdem habe ich aus der Hausbibliothek viele Klassiker gelesen. Meine Tante und Onkel waren, wie meine Eltern auch, Mitglieder im Volksverband der Bücherfreunde und besaßen viele Bücher, die auch im Bücherschrank meiner Eltern standen. Irgendwann erfuhr ich, daß es bei meiner Tante eine Geige gäbe. Sie erwies sich als spielbar. Ich habe angefangen, meine stümperhaften Fähigkeiten ohne Anleitung zu verbessern, was sicher nur sehr teilweise gelang. Zum ersten Male wurde mir so richtig bewußt, was für ein törichter Fehler mein früheres Nichtüben und der Ausstieg aus dem Unterricht waren. Im Stillen machte ich auch meinen Eltern Vorwürfe, daß sie mich nicht gezwungen hatten, regelmäßig und ausreichend zu üben und meinem Wunsch nach Ende des Unterrichts schließlich nachgegeben hatten. Pastor Henning in Schneverdingen, ein sehr guter und leidenschaftlicher Organist, überredete mich und ein junges Flüchlingsmädchen (Blockflöte) zu einem Kirchenkonzert. Wir spielten eine Komposition von Telemann für Violine, Flöte und Orgel. Ich kann meine damalige Leistung überhaupt nicht mehr beurteilen. Wahrscheinlich würde ich heute sagen “grauenhaft”, wenn ich mich noch einmal hören könnte. --  Irgendwann erschien in der Wohnung meiner Tante ein ehemaliger KZ-Häftling und “beschlagnahmte” – mit wessen Erlaubnis blieb ungeklärt – erhebliche Teile der Einrichtung. Es war eine glatte Plünderung, ein Diebstahl. Später stellte sich heraus, daß der bedauernswerte KZ-Häftling ein Verbrecher war, der seine Sicherungsverwahrung bis zum Kriegsende in einem KZ zugebracht hatte. Zurückbekommen hat meine Tante nichts. -- Am 08. August 1945 tauchte plötzlich meine Mutter in Schneverdingen auf. Sie hatte sich in einer abenteuerlichen Reise mit einem Leiterwägelchen und ein paar Habseligkeiten von Sulzbach an der Donau nach Schneverdingen durchgeschlagen. In Sulzbach war sie von meinem Vater getrennt worden. Amerikanische Truppen hatten ihn nach zunächst erfolgter Entwaffnung und Entlassung am 19. Mai 1945, also 11 Tage nach Waffenstillstand, erneut inhaftiert und wenige Tage später mit wahrscheinlich etwa 800.000 Leidensgenossen an die Sowjets übergeben. Meine Mutter hat das alles weitgehend miterlebt, nachdem mein Vater sie noch in den letzten Kriegstagen mit einem Militärlastwagen aus Berlin hat mitnehmen und sie bei seiner Einheit hat bleiben können. Die Ankunft meiner Mutter war zugleich das erste Lebenszeichen von meiner Familie seit einem guten halben Jahr. Post und Telefon gab es bis dahin nicht. Ob unsere Wohnung in Berlin noch existierte, wußten wir nicht. Von meinem Vater fehlte jede Nachricht. Am 13. September 1945, wenige Tage nach Wiederaufnahme des Postbetriebs, bekamen wir Nachricht aus Berlin. Unsere Wohnung existierte noch. Unsere Berliner Verwandten hatten alle überlebt. Kurz zuvor mußte meine Tante, wohl auf Anordnung des Wohnungsamtes, ihre Wohnung räumen und mit uns in eine kleinere umziehen. Ob irgendwelche Gründe dafür angegeben wurden, weiß ich nicht mehr. Ich glaube eher: nein. So ging es eben zu im Nachkriegsdeutschland. Ende 1945 wurde bekannt gegeben, daß Bewohner der britischen Besatzungszone Deutschlands, die im britischen Sektor Berlins beheimatet waren, dorthin offiziell, also mit Genehmigung der Besatzungsmächte, zurückkehren können. Das war neu, denn bis dahin gab es keine Möglichkeit, die Grenzen zwischen den 4 Besatzungszonen offiziell zu überqueren. Viele taten es dennoch, “schwarz”, wie wir es nannten. Dabei riskierte man aber seine mitgeführte Habe und unter Umständen Leben und Gesundheit. Das galt besonders für Übertritte aus der und in die sowjetische Besatzungszone. Wir wurden von den britischen Besatzungsbehörden mit den nötigen Papieren versehen und im Januar 1946 mit der Eisenbahn bis nach Oebisfelde in die sowjetische Besatzungszone gebracht. Von dort mußten wir selbst sehen, wie wir weiter kamen. Das war in Oebisfelde mit unangenehmem Kontakt mit sowjetischen Rotarmisten verbunden, der aber ohne Schäden abging. Wir erreichten schließlich unsere Wohnung in Berlin-Haselhorst. Unsere liebe Nachbarin Toni Russkoff hatte für uns die während der Abwesenheit meiner Mutter von April 1945 bis Januar 1946 fällige Miete bezahlt. Nach Erledigung der Anmeldeformalitäten ging ich ab Februar 1946 wieder in meine alte Penne, die Freiherr vom Stein Schule in Berlin-Spandau.     Ich kam in eine zusammengewürfelte 6. Klasse. Die meisten Schüler kannte ich, war mit ihnen auf der Stein-Schule eingeschult worden. Auch etliche Luftwaffenhelferkameraden waren darunter. Alle waren Kriegsteilnehmer. Die Klasse wurde damals im Lehrerzimmer unterrichtet, weil kleinere Räume für Klassen wie unsere in den oberen Geschossen des Gebäudes durch Kriegseinwirkung beschädigt waren. Es war kalt im Lehrerzimmer. Die Fenster nur teilweise und nur notdürftig verglast, die Heizung unzureichend. Die Lehrer und wir saßen in Mänteln am Konferenztisch. Hunger hatten wir auch. Ich erinnere mich an meine erste Chemiestunde nach Kriegsende. Es wurde das Element Bor behandelt. Meine Aufzeichnungen von damals habe ich noch. Ich konnte sie sogar noch 1950 bei den Vorbereitungen für die Chemieprüfung im Physikum, dem naturwissenschaftlichen Teil des Medizinischen Staatsexamens nutzen. Die dem Bor gewidmete Chemiestunde unterrichtete "Schlosser". Sein richtiger Name: Dr. Kurt Petrow. Wieso Schlosser ? Nun: Der Überlieferung nach hatte er bei Siemens Schlosser gelernt. Dort wurde man auf ihn aufmerksam, ermöglichte ein Studium, wahrscheinlich der Physik. Nach Tätigkeit bei Siemens und in der optischen Industrie (Rathenow, Stadt der Optik) wurde er Lehrer (Physik, Chemie, Mathematik) und gehörte von 1917 bis 1950 dem Lehrerkollegium der  Freiherr vom Stein Schule an. Mein  Klassenkamerad Claus Keßler, seines Zeichens selbst Physiker, sprach stets mit größter Hochachtung von der Physiksammlung, die Schlosser in vieljähriger Arbeit angelegt hatte. Mir sind in lebhafter Erinnerung die Erzeugung flüssiger Luft und zugehörige Experimente, stattgefunden im Physiksaal unserer Schule. Flüssige Luft hat eine Temperatur von -191° Celsius. Finger reinstecken ?? Geht !! Die sich augenblicklich bildende Gashülle isoliert. Einem anderen über den Kopf schütten ?? Geht auch !! Die Tropfen sind verdampft, ehe sie den Kopf erreichen !! Weshalb schreibe ich so ausführlich über Schlosser ?: Ich habe vor kurzem ganz zufällig sein Grab entdeckt. Er ist schon 1958 verstorben. Neben ihm ist seine Frau, die ihn viele Jahre überlebte, bestattet. Ich mußte ein paar Augenblicke verharren und habe einen stummen Dank namens der Schülerschaft abgestattet. Natürlich merke ich, daß solche Verhaltensweisen die eines Achtzigjährigen sind; die Perspektiven haben sich bereits beträchtlich verschoben ! Und noch etwas aus der Schule: Mein letzter Klassenlehrer, Dr. Detlev Streich, der mich viele Jahre als Lehrer begleitet hatte, sagte mir lange nach unserem Abitur einmal, er habe nie zuvor und nie danach eine solche Klasse gehabt wie uns damals 1946/1947. Für mich sind die Ursachen für diesen Sachverhalt klar. Du hast, lieber Berni, die ganze Zeit, die Du mit der Lektüre dieses Briefes verbracht hast, von diesen Ursachen gelesen. Die auf den vorstehenden 16 Seiten dargelegte Art der Konfrontation mit den Realitäten des Daseins hatte bei uns allen Spuren hinterlassen. Deren Ergebnis: Ein geradezu wütender Lern-, Arbeits- und Leistungsdrang, der unsere Lehrer erstaunte und auch begeisterte. Alle sind etwas geworden und, wie mein Klassenkamerad Gerhardt Pelz (auch Physiker) unlängst bei einem Besuch sagte, es ging vom Abitur bis zur Pensionierung nur bergauf, wenn auch mit mancherlei Schwierigkeiten.

Meine Nachkriegsschulzeit war getrübt durch die Nachricht vom Tod meines Vaters, die uns, von mehreren seiner Kameraden fast gleichzeitig übermittelt, im September 1946 erreichte. Wir wußten bis dahin nichts  über seinen Verbleib. Er war im August 1946 total unterernährt und geschwächt an einer Darminfektion auf dem Heimtransport im Groß-KZ Sowjetunion in der Nähe von Charkow verstorben. Meine Mutter hat den Verlust nie verwunden. Ihr Schmerz dauerte bis zu ihrem Tode an und wirkte auch noch Jahrzehnte später stark in mein, in unser Leben hinein. Meine Eltern hatten sich sehr geliebt, eine sehr harmonische Ehe geführt, der ich eine glückliche Kindheit verdanke, wie wir heute wissen: Eine für das ganze Leben Kraft spendende formende Einwirkung, die durch nichts zu ersetzten ist. Meine Mutter nahm eine Arbeit bei der Spandauer Bezirksverwaltung an und verdiente etwa 230 oder 240 Reichsmark. Wir litten Hunger und Kälte. Heizen konnte man praktisch nur mit gestohlenem Holz, das man sich durch Abholzen der Berliner Wälder verschaffte. Elektrischen Strom gab es nur einige wenige Stunden am Tag, und er war rationiert. Wer überzog, wurde abgeschaltet.

In der Schule fanden mehrere leistungsabhängige Zwischenversetzungen statt, sodaß ich schon am 27.06.1947 das Abitur mit der mündlichen Prüfung beenden konnte. Bei der Schulentlassungsuntersuchung betrug mein Körpergewicht 48 kg, was nicht auf Krankheit oder übermäßigen Energieverbrauch zurückzuführen war.

Einige Wochen später brachte mir der Geldbriefträger 300 Reichsmark, die ein unbekannter Spender für die 5 besten Spandauer Abiturienten des Jahrgangs 1947 gestiftet hatte. Davon konnten wir knapp das für 19 Monate geschuldete Schulgeld bezahlen. Einen Studienplatz aber bekam ich mit diesem Abitur nicht. Zum einen gab es einen von den alliierten Siegermächten verordneten Numerus clausus. Zum anderen wurden die vorhandenen Plätze an der im sowjetischen Sektor gelegenen Berliner Humboldt-Universität nur an Bewerber vergeben, die einer  kommunistischen Organisationen angehörten.  Die Freie Universität gab es noch nicht. Keinen Studienplatz zu haben hieß: Man mußte etwas anderes tun, sonst gab es keine Lebensmittelkarte. Der Berufsberater im Arbeitsamt riet zur Tätigkeit in der Brandaplattenfabrik. Brandaplatten waren zum Heizen gedachte brikettähnliche Gebilde aus schwer zu identifizierenden, brennbaren Resten. Ich folgte dem Rat nicht, sondern war ab 01.10.1947 Krankenpflegeschüler im Städtischen Krankenhaus Spandau. Erster Einsatzort war die Chir. Abteilung. 5 Monate später ermöglichte mir der Oberarzt der Abteilung, als Famulus im Nullten Semester zur arbeiten, allerdings nun ohne jegliche Löhnung. Damit gehörte ich praktisch zum ärztlichen Dienst. Diese Konstruktion wurde da und dort auch in anderen Krankenhäusern solchen jungen Leuten angeboten, die durch nichts vom Wunsch, Medizin zu studieren, abzubringen waren. Im Spätsommer 1948 operierte ich unter Oberarzt-Assistenz "meinen ersten Blinddarm." Es folgten - natürlich ebenfalls unbezahlt - 6 Monate Famulatur im Nullten Semester an der 1. Med. Klinik der Charite. Zum Sommersemester 1949 eröffnete die inzwischen gegründete Freie Universität Berlin das vorklinische Medizinstudium. Die Zahl der Bewerber war astronomisch. Viele kamen aus dem sowjetischen Sektor Berlins  und der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, weil sie aus politischen Gründen dort nicht studieren konnten/durften. Die DDR etablierte sich erst am 07. Oktober 1949. Die Mauer gab es noch nicht. Alle Bewerber wurden zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch eingeladen, das sich als Aufnahmeprüfung entpuppte. Die Fragen nach den Funktionen von Dünn- und Dickdarm konnte ich ohne Mühe beantworten. Zur Frage, was denn bei einer Blinddarmoperation passiere, deklamierte ich einen Op.-Bericht und wurde mit der Bemerkung entlassen, bestens informiert zu sein. Etwa 14 Tage später erhielt ich die Nachricht, daß mir ein Studienplatz zugeteilt worden war. Auch die Studienanfänger des Sommersemesters 1949 in der Vorklinik an der FU waren ein Haufen lernwütiger Leute. Viele liefen noch in Uniformteilen der Deutschen Wehrmacht herum. Ich auch. Man "siezte" sich. Das Zusammengehörigkeitsgefühl war groß. Meine Mutter verdiente beim Beginn meines Studiums 240 Mark halb Ost halb West im Monat, zuviel für einen vollen Erlaß der Studiengebühren, und von einem Stipendium konnte schon gar keine Rede sein. Für einige Semester erreichte ich einen halben Gebührenerlaß. Die Studiengebühren und ein bescheidenes Taschengeld verdiente ich mit Nachhilfe- und Violinunterricht und gelegentlichen Mucken als Stehgeiger. Mein Schulfreund Peter Kempin studierte evangelische Kirchenmusik an der Hochschule für Musik Berlin, war natürlich längst ein guter Pianist und leitete die studentische Arbeitsvermittlung. Mit einem weiteren Schulfreund (Cello) bildeten wir ein Trio, dessen Repertoire von Kammer- über Tanzmusik bis Salonorchester reichte. Meine geigerischen Mängel waren zu dieser Zeit durch späte Einsicht, späte Reue und gute Lehrer im Wesentlichen bereits beseitigt.

Das Leben in den drei Westsektoren Berlins veränderte sich ab etwa Mitte 1948 stark, und zwar im Zusammenhang mit der Luftbrücke, die die Westalliierten während der sowjetischen Blockade Berlins eingerichtet hatten. Ziemlich plötzlich gab es genug Lebensmittel. Wir brauchten nicht mehr zu hungern. Es gab Kohle zum heizen. Das Kraftwerk West konnte den ganzen Tag über Strom liefern, und der war unrationiert. In den Fenstern waren wieder Scheiben. Man konnte sogar Kleidungsstücke kaufen. Zunehmend holten die Bürger ihre Lebensmittelkarten gar nicht mehr von der Kartenstelle ab, weil es in den Geschäften alles ohne Marken gab. Es wurde uns auch nichts mehr von der weltweiten Mangellage vorerzählt, die bis dahin als Begründung für die Hungersnot im besetzten Deutschland herhalten mußte. Die klassische, von den Engländern erfundene Besatzungs-/Kolonialpolitik nach dem Motto: “Laß‘ die Leute hungern, dann sind sie beschäftigt und haben keine freien Valenzen zum  Aufmüpfen”  war zu Ende. Es hatte nämlich der nächste Krieg begonnen. Man nannte ihn den “kalten”. Diese Analyse stammt übrigens nicht von mir sondern von Dr. Otto Priewe, meinem letzten Englischlehrer, der viele Jahre seines Lebens weltweit im Ausland als Lehrer für die Kinder der Angehörigen Deutscher Botschaften zugebracht hatte.

Am 19. Dezember 1955 beendete ich das Medizinische Staatsexamen mit der (wie alle anderen auch: mündlichen) Prüfung im Fach: “Gerichtliche und soziale Medizin”. Das Staatsexamen umfaßte 16 Prüfungen. Die der großen Fächer Innere Medizin, Frauenheilkunde und Geburtshilfe und Chirurgie wurde doppelt vor zwei verschiedenen Prüfern abgelegt und benotet. Vorher hatte man im Physikum, das nach den sogenannten vorklinischen ersten 5 Semestern abgelegt wurde, 7 mündliche Prüfungen zu bestehen, die teilweise besonders haarig waren. Meine Prüfung in Anatomie zum Beispiel,  abgelegt in einer Gruppe von vier Studenten, hatte von 8.00 – 18.00 Uhr gedauert, unterbrochen durch eine zweistündige Mittagspause. Beim Staatsexamen erzielte ich die Gesamtnote “Sehr gut”, Notendurchschnitt 1,3.

Lieber Enkel, Enkelpräsident Berni ! Diesen Lebensbericht möchte ich zunächst mit meinem Medizinischen Staatsexamen, dem kurzfristig die Bestallung als Arzt durch den zuständigen Landesminister folgte, enden lassen. Wahrscheinlich wirst Du Dir nicht dessen bewußt sein, daß Du seine Formulierung und Niederschrift ausgelöst hast. Oder ? Vor einiger Zeit hast Du, am Telefon, Dich über Deine Lebenssituation beklagt. Die ist ja zur Zeit hochgradig vom schulischen Geschehen bestimmt. Ich möchte vorwegnehmen, daß ich Deine Klagen keineswegs alle für unberechtigt halte. Einige schon. Das aber ist kein Vorwurf, jedenfalls nicht gegenüber Dir und Deinen Altersgenossen. Was soll dabei herauskommen, wenn Einem zur Messung der Temperatur ein Voltmeter in die Hand gegeben wird ? Die richtige Erkenntnis, das zutreffende Urteil kann so nicht erlangt werden. Daran sind natürlich nicht die Betroffenen Schuld sondern die, die den falschen Maßstab, das falsche Meßinstrument geliefert haben. Und den mir nachgeborenen fast 5 Generationen sind zunehmend nach Art und Menge verdrehte, verquaste, ja unsinnige Maßstäbe angeboten, indoktriniert, verleitend dargeboten worden. Da kann man nur versuchen, durch Richtigstellung zu korrigieren. Diese Überlegung hast Du, sicher unbeabsichtigt, bei mir mit Deiner Frage ausgelöst, ob ich noch wüßte, wie ich meine Tage als 15jähriger zugebracht habe. Ich wußte und weiß ! Da hast Du die Antwort, die ich dir extrem verkürzt sogleich am Telefon gab, in einer ausführlicheren Formulierung. Vieles, was mir bei der Niederschrift in Erinnerung kam und durch den Kopf ging, habe ich weggelassen, um die Länge der Darlegung nicht ausufern zu lassen. Es ist ja so schon fast ein Kurzroman geworden. Und der ist ja eigentlich auch nicht zu Ende gebracht, denn selbstverständlich sind in den über 50 Jahren nach dem Staatsexamen auch noch erheblich Maßstab setzende Einflüsse in meinem Leben wirksam geworden. Aber ich wollte gern Dir diesen Bericht an dem Tag in die Hände geben, an dem Du 15 Jahre und 165 Tage alt bist, wie ich es am 10. Januar 1944 war. Also muß jetzt Schluß sein, sonst schaff‘ ich’s nicht.

Eines muß noch gesagt werden:

Ich rechne mit Deiner Frage, ob ich denn all das gut und richtig fände, was ich da habe erleben müssen. Schließlich sei nach der Kinderrechtskonvention der UN  ein Kind, wer noch nicht 18 Jahre alt ist. Außerdem sei es doch die Frage, ob Mord und Totschlag, Hunger und Kälte, Krankheit und Gewalt der richtige Maßstab sind. Und wir leben  doch in anderen Zeiten, in demokratischen Rechtsstaaten, im Zeitalter der Vereinten Nationen und eines geltenden Völkerrechts. Konflikte könne man heutzutage gar nicht mehr mit Kriegen, wie damals, austragen.

Darauf 2 Antworten:

1. Ich finde das alles überhaupt nicht gut sondern schrecklich. Ich möchte das alles nicht noch einmal erleben. Ich möchte das Erlebte aber auch nicht missen! Die gezwungenermaßen gewonnene Erfahrung, die mir aufgezwungene Lebenserfahrung, hat mich vor vielem bewahrt.

2. Die Arbeitsgemeinschaft für Kriegsursachenforschung zählt in der Zeit von 1945 bis 2007 weltweit 238 Kriege. An keinem war Deutschland beteiligt. Die Hoffnung, nach der Vernichtung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg würde der ewige Frieden beginnen, war, wie vernünftige und gebildete Menschen von Anfang an wußten, eine unsinnige Utopie oder eine Politlüge zur Rechtfertigung der durch die Sieger begangenen Untaten. Diese 238 Kriege waren genau so unmenschlich und grausam, wie Kriege es waren, seit es Geschichtsschreibung gibt. Eine ungeschminkt, realistische Beschreibung menschlichen Verhaltens, dessen, wozu Menschen fähig sind, liefert die Bibel. Und die Menschen haben sich nicht geändert und werden sich nicht ändern. Bisher haben alle Weltverbesserungs- bemühungen außer dem Gegenteil des Angestrebten nichts bewirkt. Das von mir Erlebte wird sich wiederholen. Es ist nicht die Frage ob, sondern wann, wo als nächstes und wie. Ob unsere Lach- und Spaß-, Freizeit-, Konsum-, Genuß-, Null-Bock-, Egoisten- und Weicheigesellschaft dafür gut gerüstet ist, die richtigen Maßstäbe dazu liefert, darf füglich bezweifelt werden. Damit nicht genug: Sie liefert auch und gerade für gute Zeiten nicht die richtigen Maßstäbe. Wenn man nicht mehr merkt, wie gut es einem geht, sich mit Problemen und Sorgen plagen zu müssen meint, die tatsächlich gar nicht existieren, dann entsteht ein Zustand, den ein deutsches Sprichwort so formuliert: “Wenn es dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis”. Für alle Fälle erläuternd dazu: Wenn Huftiere aufs Eis gehen, sind sie ganz schlecht dran. Sie stürzen, brechen sich die Beine, sind hilflos, weil sie nicht kriechen können, verdursten, verhungern, erfrieren, brechen unter Umständen ein und ersaufen.

    -------Vorläufiges Ende -------

     

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